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Mo, 29. April 2024

Schweizerhaus, Wien - Bewertung

Experte
am 17. Oktober 2023|Update 19. Okt 2023
SpeisenAmbienteService
Das Schweizerhaus – eine Wiener Institution

Man kann über das Wiener Schweizerhaus (SH) am Rande des sog. Wurstelpraters sagen was man will, es ist eine Wiener Institution und ebenso Rarität, die keinen weiteren Repräsentanten vorzuweisen hat, zumindest nicht im Raum Wien und Umgebung.

Die einen wollen sich Wien ohne ein SH nicht mehr vorstellen, es hat quasi Kultstatus, die anderen meiden es und finden gar kein gutes Wort dafür. Ich kenne sogar böse Zungen, die lieber zum naheliegenden Englischen Reiter gehen und ihn über den grünen Klee loben, nicht aber, weil sie das so auch meinen, sondern lediglich um das SH madig zu reden.

Ich habe überlegt, ob ich überhaupt rezensieren soll, Werbung braucht Inhaber Kolarik & Co sicher keine, die Familie führt nebenbei noch weitere umliegende Betriebe und die Hütte ist überdies weit über die Grenzen Österreichs bekannt, die san oiso kane Oarman. 😉

Weiters finden sich hier im Forum schon genügend Berichte, positiv wie negativ, also was motiviert mich dazu? Ich nenne zwei Gründe:

1) Ich gehöre zu denen, die dem SH Kultstatus einräumen, das wird sich vss. nicht ändern.
2) Es sei dies so etwas wie meine persönliche Abrechnung über nunmehr schon Jahrzehnte.

Ich finde den Gastgarten großartig, groß ohnehin, aber auch geräumig, gärtnerisch schön ausgestaltet, ausreichend baumeschattet und zu den Abendstunden besonders stimmig. Wegen der Größe ist er nach Bereichen mit den Namen nach Wiener Bezirken unterteilt. So kann man von Wieden mit der U1 in die Leopoldstadt anreisen und befindet dann erst wieder in Wieden. Hier geht das also. 😉

Der Garten fasst heute ca. 1.700, der Innenbereich 600 Plätze, bei Schönwetter verlassen, wie ich mal erfahren habe, an Spitzentagen bis zu 6.000 Krügerl die Schank, die hier einer Fabrik mit Fließband gleicht. Es ist sehenswert der massenhaften Ausschank zuzusehen, arbeiten möchte ich zugegebenermaßen dort aber nicht.


Budweiser, Grießkirchner + Starter

Das Bier wird in Tanks gelagert und mit Stickstoff gezapft, somit ist es sehr kohlensäurearm und, tja, das zeichnet es auch aus, leicht (5% Vol. Alk.) und süffig und so liebe ich das seit Jahren, ich das Helle Budweiser andere das Gemischte oder Dunkle Grieskirchner. Das erste geht schon weg, ehe die erste Speise den Tisch erreichen könnte.

Der gegenwärtige Preis liegt bei 5,60€ für die Halbe. Früher war das SH darin oft gastronomischer Spitzenreiter und Kritikpunkt vieler Gäste, wie der Wiener halt goa so gern auch keppeln tut, was nun nach den letzten Teuerungswellen durchaus im Mittelfeld liegt. Der große Umsatz verhalf hier also zum Vorteil.

Manche starten mit dem Erdäpfelpuffer, der für sich schon eine Legende ist, nicht diese schwappeligen Industrielaberl, womit man Wien in der Vorweihnachtszeit überschwemmt, sondern richtige herzhafte Puffer, außen knackig schön geröstet und im Inneren die weiche Fülle, wer will mit viel Knofi obendrauf.

Sie kosten als Portion zu 2 Stück 4,70€, mit Knoblauch 4,90€. Allerdings härten sie auch rasch aus, man muss zusehen sie warm zu verzehren, ansonsten kann es auch vorkommen, dass man meint man beiße auf Granit.

Zwei Stück davon sind für mich schon eine Hauptspeise, sodass ich mich entscheiden muss auf dieses oder alternativ doch auf die Stelze zu setzen , die ich im Folgenden beschreibe. Für Kurzbesuche oder alleine ist das oft die Wahl, dazu das Pivo und du gehst zufrieden von dannen und kostet nicht das große Geld.

Und wer mal keinen Platz ergattert, kann sich diese auch vor dem Lokal beim Verkauf auf einem simplen Tatzerl zum günstigeren Mitnahmepreis einverleiben.


Schweinsstelze & Begleiter

Es gibt übrigens auch eine ansehnliche Speisekarte der Wr. Küche und auch Mittags- oder Wochenteller, auf das ich aber nur selten zugreife. Der Hauptdarsteller ist hier die hintere Schweinsstelze vom Grill, kurz Stelze. Ich wollte dazu schon mal einen Blick in die Küche werfen, was einem aber verweigert wird, weg'n der sog. Hygiene-Vorschriften warat's.

Man legt besonders Wert auf die Oberfläche, sodass kräftig eingesalzen krustig und knusprig beim Reinbeißen nur so die Schwarte kracht, das macht es besonders. Man schafft das nicht rundum, einige Teile werden zu hart und sind ungenießbar, aber der größere Teil beschert so ein himmlisches Vergnügen. Darunter befindet sich eine fettige Schicht, die man fast wie flüssig dazu aufsaugt.

Das dunklere gut durchgegarte Fleisch selbst ist gut und g‘schmackig, bei mir aber untergeordnet, ein bisschen davon wird vor Ort verzehrt, der Großteil landet am nächsten Tag in meiner Küche und wird zu einem Gröstl weiterverarbeitet, da ich oft nur zu zweit herkomme.

So pflegen wir das dafür seit Jahren, denn man erhält nur ganze Stücke von ca. 1,2 kg aufwärts, sodass eine für drei Personen ausreicht. Sie wird nach Gewicht verrechnet, das Kilo derzeit um 22,90€.

Das ist geteilt durch drei nicht wirklich teuer, aber man braucht ja auch Begleiter, so gehören dazu zunächst Senf und frisch geriebener Kren pro Person um 1,90€ oder manchmal auch eine Portion Bierrettich (3,90€), damit rutscht‘s auch besser runter. An kalten Beilagen gibt es noch einiges an Auswahl.

Liebste Vitamin-Beilage ist Krautsalat (4,60€), herrlich flüssig mariniert und zusätzlich mit ganzen Kümmelstückchen versehen, mit dem Gesamtensemble lacht das Herzerl so richtig. Angesichts der Kalorienbomben. die wir hier werfen, genügt davon eine Portion zu zweit.

Hervorzuheben wäre noch eine bestechende Küchenkonstanz. Die geannten Spezialitäten erreichen den Tisch über die Jahre in stets gleich guter Qualität.


Eine jüngst erworbene Leidenschaft

Als Besonderheit ist die Kuttelflecksuppe (6,30€) zu erwähnen, die ich nur im SH oder vom MO’s kenne, seit Jahrzehnten nach einem traditionell tschechischen bzw. slowakischen Rezept fabriziert, wer da führend ist, müssen sich die beiden ausschnapsen, hier wird sie auch Prager Suppe oder Drštková genannt.

An Innereien wagte ich mich lange nicht heran, aber eines Tages ist der Damm gebrochen und ich probierte sie und war überrascht, was für ein begehrter Leckerbissen das sein kann. Die Kutteln sind sehr sauber geputzt und werden in paprizierter Suppe gekocht, oder man nimmt als Basis Gulaschsaft.

Wie genau sie gemacht wird weiß ich nicht, aber der Touch würzig pikanter Gulaschsaftwürze in Verbindung mit den Kutteln, wienerisch würde man sagen „es niacht‘lt“, wie eben Innereien riechen, harmoniert ausgezeichnet. Jetzt steht bei meinen SH-Besuchen auch diese immer wieder am Radar. Ich muss aber auch die als Nr. 2 gelistete Krautsuppe probieren. Sie steht noch aus.

Und obwohl ich Fan der klassischen RS bin, so bleibe ich da mal bei meinem Vorurteil, wenn man mir solches ausnahmsweise gestatten möge. Bierlokal und Rind? Njet! Hier herrscht Schwein. 😉


Kaffee & Co

Als Pseudo-Kenner und doch Profi-Liebhaber des gut gepflegten Digestifs schließe ich Besuche gerne mit Kaffee und a weng‘l was zwecks Verdauung ab. Kaffee und Bierlokal können gar Spinne-Feind sein, aber hier dürfte eine brauchbare Freundschaft vorherrschen. Marke mir zwar unbekannt, aber ganz gut mit 4,30€ für den großen Espresso.

Besonders erfreut mich der Nussschnaps, dem hauseigene Produktion nachgesagt wird. Ob das stimmt weiß ich nicht, so will ich’s glauben, aber was ich weiß ist, er ist genial. Nicht bitter, nicht süß, ausgewogene Würzmischung, bei der die Gewürznelke nicht den Gaumen verhundst, und satte 40% wie man das von einem Brand kennt.

In 0,1l Flaschen auch zum Mitnehmen erhältlich wovon ich jährlich Gebrauch mache um Haushalt und eigene Gäste zu versorgen. Im Lokal 3,60€, also kein Eckhaus, die 0,1l Flasche mit 9,90€ doch nicht ganz billig. Man erhält dazu ein Geschenksäckchen + Stamperl. Das Extra macht leider den Preis, ich brauch das zwar nicht, aber diese Werbung muss man halt mitbezahlen.


Meine Service-Erfahrungen

Darüber könnte man ein Buch schreiben, es waren gewisse Praktiken über die Jahre üblich, allseits verpönt und handelten dem SH einen üblen Nachruf ein. Jeder Insider der dort hingegangen ist wappnete sich dagegen im Voraus, der Unbedarfte war ein armes Schwein und Opfer und so mieden viele das SH auch.

In größeren Gruppen wurden man regelmäßig beim Bier abgezockt, indem mehr verrechnet wurde als bestellt und man war umso frecher, je größer die Krügerl-Anzahl war.

Eine weitere bierige Unsitte war das vorzeitige Abstellen des Biers am Tisch, ehe man mit seinem fertig war. Dazu wurde oft nicht einmal gefragt, ob man überhaupt noch eines möchte, klaks, da stand es einfach. Nun hatte man darauffolgend Erklärungsnotstand und Streitigkeiten waren an der Tagesordnung.

Das Bier war in der Regel nicht korrekt eingeschenkt, weshalb es gar keine echte Halbe war. Und nicht selten wurde man ignoriert, wenn man nur ein Seidel wollte, das kam trotz Nachfrage nicht an. Ich habe das alles miterlebt und kann es bestätigen, aber ich kann heute auch die völlige Entwarnung aussprechen, solches ist Geschichte.

Hier dürfte die Chefetage durchgegriffen haben und sowohl das Kellner-Konzept als auch deren Moral umgekrempelt haben. Ich erlebe es nun sein einigen Jahren hochanständig und professionell und man erfreut sich einer stolzen Schaumkrone, woraus man sich möglicherweise einen Sport macht, wer es höher schafft.

Der Wiener Schmäh ist das Einzige, was mir manchmal abgeht, besonders wenn viel Betrieb ist, was aber auch verständlich ist, ansonsten läuft es in der Regel locker ab.

Pro Station/Bezirk gibt es einen Getränke- und einen Speisenkellner, die sich auch aushelfen. Sehr gut funktioniert das Reservierungssystem. Bis zu 3 Personen wird grundsätzlich nicht reserviert, da sucht man sich einen freien Platz, setzt sich nach Absprache dazu oder verhandelt mit dem Kellner, dem die Tischeinteilung obliegt.

Ab 4 Personen kann online reserviert werden. Für größere Gruppen benötigt man einen Vorlauf von ca. 4 Wochen, so meine Erfahrung.


Bewertung für ReTe

Meine durchschnittliche Besuchsfrequenz liegt bei 2-3 Mal jährlich seit mehr als 40 Jahren, öfter schaffe ich diese üppigen „Schweinereien“ samt sattem Bierkonsum wohl nicht, der aber nur hier über dem Schnitt möglich ist, weil es wie Öl den Rachen hinabgleitet.

Heuer waren es 5 Besuche, weil ich die neu in meinem Programm eingebaute Kuttelflecksuppe für sich öfter genießen wollte, und möglicherweise bildet sie nun den Grund, dass das so bleiben könnte.

Meine Rezension konzentriert sich auf die von mir bevorzugten Speisen samt Gewohnheiten, wofür ich aber eine klare Empfehlung ausspreche, und basiert ansonsten auf dem Vergleich mit anderen Bierlokalen. Aus der Perspektive sind die Speisen gut bis ausgezeichnet. Besonders die Stelze ist ein Unikat. Bierlokale schneiden kulinarisch bei mir ansonsten eher unterdurchschnittlich ab.

Das Ambiente ist Top, lediglich die Lautstärke kann hin und wieder auch stören, man darf nicht vergessen, nicht nur die illustren Gäste produzieren ordentlich Lärm, man befindet sich auch in einem Vergnügungsviertel und das sorgt für zusätzliche Dezibel.

Der Service hat sich deutlich verbessert und funktioniert nun seit einigen Jahren klaglos. Man darf sich allerdings nicht mehr erwarten, es ist die Masse auch ein Stressfaktor, der aber gut gemeistert wird, also rundum gut.

Für heuer ist die Saison 2023 gelaufen aber mit 2024 freut sich WrFan wieder auf Kutteln, Bier, Stelze, Nusserl und en passent auch die Puffer.


LG vom WrKFan
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2 Kommentare
Meidlinger12

Meine Meinung zum Schweizerhaus kennt man ja mittlerweile. Das Bier ist über jeden Zweifel erhaben. Die Kuttelsuppe würde ich sofort probieren. Gibts eigentlich nur mehr in der Steiermark. Ich war glaub ich schon mind. 10 Jahre nicht mehr im Prater. Seit ich von Wien weg bin ist der nicht nur geographisch in noch weitere Ferne gerückt. Aber wer mal in Salzburg verweilt, sollte unbedingt das Mülln Bräu probieren. Ich finde es viel origineller und uriger und wo bekommt man heute noch Bier frisch aus dem Holzfass?

17. Okt 2023, 18:03Gefällt mir1
Rodauner

Danke für diesen großartigen, herzlichen Bericht - eine Freude zu lesen von einem offensichtlichen Kenner - ich stimme zu 99% zu. Das Folgende soll also nicht (in winzigen Teilchen) Deinen Bericht kritisieren, sondern ergänzen - weil ich das Schweizerhaus halt auch so mag: 1. Das Schweizerhaus gehört der "KARL KOLARIK'S SCHWEIZERHAUS GESELLSCHAFT M.B.H."; für Laien "dem alten Kolarik". Die "umliegenden Gastrobetriebe" hingegen gehören der "Kolarik im Prater GmbH" - für Laien "dem jungen Kolarik": Es handelt sich also weder um die gleichen Besitzer noch um die gleichen Betreiber - aber freilich um die gleiche Familie 2. Das Bier und der Stickstoff: Das betreiben einer Zapfanlage mit Stickstoff-CO2 Gemisch ist branchenüblich (Handelsname von Linde: Biogon) und macht nicht die Besonderheit des Bieres aus, sondern das dreistufige Zapfverfahren, wodurch jedes einzelne Krügel trotz der enormen Menge genug Zeit bekommt, den Schaum setzen und die Kohlensäure in den Hintergrund setzen zu lassen. 3. Der Nussschnaps: Der wird tatsächlich aus den Nüssen der Schweizerhaus eigenen Nussbäume gewonnen - und das erklärt auch dessen Rarheit bzw. den doch hohen Preis. Das wars. Alles andere unterschreib ich wie von Dir geschildert :-)

17. Okt 2023, 14:24Gefällt mir6
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