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Fr, 19. April 2024

Glasweise - Bewertung

Diese Review zählt nicht für die Gesamtwertung des Lokals, da dieser Tester dieses Lokal bereits neuerlich bewertet hat.
adn1966
Experte
am 23. Oktober 2020
SpeisenAmbienteService
Das Glasweise also.

Ein nicht uninteressanter Name für ein Lokal, vermittelt Weingenuss, lässt noch nicht zwingend auf gute Küche (oder Küche irgendeiner Provenienz schließen).

Das Lokal ist einen Steinwurf von uns entfernt, auf halber Strecke zwischen unserem Zuhause und der altehrwürdigen Volksoper, oder, allgemeiner erklärt, im letzten Drittel zwischen Nußdorfer und Volksoper.

Schon oft bin ich dort schon vorbeigegangen, einmal hab ich sogar ein schnelles Achterl Rotwein im Garten konsumiert, mir die recht international ausgerichtete Karte angesehen, mich nicht so wirklich ausgekannt, was das Glasweise außer Weingenuss eigentlich vermitteln will und mir geschworen, dies bald einmal herauszufinden.

Heute war es soweit. Die Liebste und ich beschlossen, dem Glasweise einen Besuch abzustatten, zum einen, weil bei „Kim“ – auch einen Steinwurf entfernt – erwartungsgemäß so kurzfristig kein Tisch zu bekommen war (nächsten Mittwoch schon, Bewertung folgt ...), zum anderen, weil uns zugetragen wurde, der Besitzer sei Bulgare, was für die Liebste, selbst gebürtige Sofioterin, natürlich interessant war.

Ohne Reservierung also zum Glasweise marschiert, Glück gehabt, ein paar Tische waren frei, der freundliche Restaurantleiter (auch gebürtiger Bulgare, auch schon lange in Wien) hieß uns willkommen und bot uns an, an einem Tisch unserer Wahl Platz zu nehmen.

Das Lokal ist gemütlich, weiß gestrichene Ziegelwände, eine Bar, hier kann man schon gut sitzen und das ein oder andere Achterl glasweise genießen und, wie wir feststellen sollten, auch sehr gut essen.

Die Speisekarte präsentiert sich in Form eines Klemmbretts, ja eh modern, aber halt hochgradig unpraktisch zum Blättern, wenn es 10+ Seiten zum durchstöbern gibt. Die erste Hälfte der Karte beschäftigt sich mit Empfehlungen aus der Küche, mit Vor- und Hauptspeisen, Desserts und Tapas, die zweite Hälfte der Karte widmet sich Getränken, allem voran natürlich eine Weinauswahl, die, ganz nomen est omen, glasweise angeboten wird.

Die Idee ist nett, wobei, so wahnsinnig viele Weine finden sich jetzt allerdings auch nicht auf der Karte. Um dem Namen gerecht zu werden, müsste man hier meines Erachtens echt in die Vollen greifen und eine eigene „glasweise“ Weinkarte erstellen, aber gut.

Die Küchenlinie ist prima vista nicht ganz leicht zu durchschauen. Beef Tartar, gratinierter Ziegenkäse, Steinpilz-Crèmesuppe, Fisch, Fleisch, dann eine Tapas – Seite, die zum Weinthema natürlich passt, die Zusammenstellung der Karte sollte dem Gast allerdings erklärt werden. Ein Satz auf der Karte, warum man sich für diese Richtung entschieden hat oder warum diese Richtung mit dem Motto „Wein/Glasweise“ durchaus stimmig sein kann, ein paar Worte vom Kellner oder Restaurantleiter darüber, was einen hier erwartet, wären schon hilfreich.

Die Homepage hilft hier auch nicht wirklich weiter, man erfährt zwar, dass es sich um eine Weinbar handelt, kann das Lokal auch virtuell besuchen, wird dann aber beim Verlassen des virtuellen Besuchs auf google.bg umgeleitet, was ich für ein Wiener Lokal nicht unspannend finde.

Die Menüpunkte „Wein, Glasweise, Speisen“ geben nichts her, weil „die Karte gerade aktualisiert wird“. Na gut, sei’s drum. Egal, wir akzeptieren die Küchenlinie als das, was sich das Glasweise halt ausgesucht hat und sind hungrig. Der Restaurantleiter lässt uns noch wissen, dass es, abseits der Karte, auch Gans’l gibt, klassisch mit Rotkraut, Serviettenknödelscheiben und Maroni.

Wir starten mit einer roten Cuvée (gerade einmal zwei gibt’s auf der Karte), einmal eine burgenländische Variante für mich, eine italienische Variante Sangiovese/Merlot für die Liebste.

Zum Essen bestellt die Liebste eine Steinpilzsuppe mit Croutons und danach ein Beef Tartar, extra scharf, bitte, wie es die Liebste mag. Ich will wissen, was das Glasweise gans’l-technisch kann, bestelle allerdings die Maroni ab, die ich so was von nicht mag (fast so schlimm wie rohe Tomaten).

Die Weine sind gut, speziell die italienische Cuvée kann was. Erster (glasweiser) Test gilt als bestanden. Nach kurzer Wartezeit kommt die Suppe. Ein gutes Süppchen, echt, ehrlich und mit kräftigem Steinpilzgeschmack. Bei den Croutons ist noch Luft nach oben, die könnten etwas knuspriger und vielleicht mit ein paar Kräutern aufgepeppt sein.

Kurz darauf Auftritt der Hauptspeisen.

Das Beef Tartar der Liebsten ist vorzüglich, das Fleisch von tadelloser Qualität und Konsistenz. Einerseits puristisch, ohne Kapern und Zwiebeln, dann wiederum sehr eigen interpretiert, findet sich doch eine dünne Schicht leicht getrüffelte „Eierspeis’“ auf dem Tartar.

„Mon dieu“ mögen jetzt einige von Euch rufen und ja, ich fand’s auch erst einmal etwas eigenwillig, aber, das geht echt ganz gut zusammen. Es muss nicht immer der Eidotter, das wachsweiche Ei oder das Wachtelei sein. Problematisch ist natürlich, dass das Beef gekühlt ist und die Eierspeis schon beim Servieren kalt ist, aber als Kombi war das Ganze, speziell durch die leichte Trüffelnote, schon eine feine Sache.

Die Schärfe kam in Form eines Schüsselchens mit einem selbst angesetzten Chili-Öl daher, scharf, ehrlich, aber jetzt auch nichts, was Schärfe-Afficionados wie uns Schweißperlen auf die Stirn treiben könnte.

Die Anrichteweise ist natürlich Geschmackssache, für mich war durch die Aiolimalerei am Teller eindeutig zu viel los, ich würde den Purismus hier noch konsequenter durchziehen und die Eierspeise nicht auf, sondern an das Beef legen, wegen der Temperatur warat’s.

Auch der Toast, der zum Beef Tartar gereicht wird, ist für meinen Geschmack etwas zu blass geraten. If you do Weißbrot, do Weißbrot, if you do Toast, do Toast. Hier ist meine Welt ziemlich binär.

Mein Gans’l kam als eine Keule oder ein Hax'l daher, klassisch angerichtet auf einem Bett von Rotkraut und ein paar Scheiben Serviettenknödel, mit reichlich Saft’l. Die Maroni wurden wie gewünscht weggelassen.

Das Gans’l war zart, offenbar von sehr guter Qualität, könnte aber noch etwas mehr gewinnen, wenn man es noch etwas länger, möglichst bei niedriger Temperatur, im Ofen ließe. Geschmacklich aber sehr, sehr gut. Leider nicht sehr knusprig, weil offensichtlich mit Saft übergossen worden, aber sonst definitiv am Stockerl im Wettbewerb der besten Gans'ln, die ich gegessen habe.

Die Knödelscheiben waren für mein Dafürhalten perfekt. Nicht trocken, nicht fad, nicht überwürzt, Knödel, wie sie auch meine Mutter nicht besser gemacht hätte. Und nicht angebraten, nicht in Butter geschwenkt, die Serviettenknödelrolle einfach aufgeschnitten, serviert und gut ist’s.

Mittlerweile versucht sich ja jeder im Verfeinern von Knödeln und auch ich muss gestehen, dass ich Serviettenknödelscheiben vor dem Servieren immer kurz in Butter anröste. Die Knödel im Glasweise haben mich gelehrt, dass dieser ehrliche Purismus eigentlich etwas Gutes an sich hat, war ein feines Knödelerlebnis. Chapeau.

Das Rotkraut war das Beste, das ich jemals gegessen habe. Ich bin kein Freund von Rotkraut, meist zu süß, manchmal zu zimtig, hier war’s perfekt. Immer noch bissfest, nur von leichter Süße und der Zimt war nur ganz leicht zu schmecken, perfekt.

Beim Saft’l wage ich zu behaupten, der Koch hat es nicht nur einreduziert, sondern auch mit etwas Stärke nachgeholfen, was die Konsistenz etwas zu sämig machte. Kann man machen, keine Frage, tut geschmacklich nichts Böses, wenn man es nicht übertreibt, muss aber meiner Meinung nach nicht sein. Auch hier: so viel guter Purismus, also zieht es doch bitte durch.

Der Service durch den bulgarischen Restaurantleiter war effizient, höflich, freundlich, korrekt und, obwohl er das Lokal heute alleine „schupfen“ musste, blieb immer noch Zeit für Nachfragen, ob denn alles gut war und auch die Teller wurden rasch abgeräumt. Alles richtig gemacht, daher für ihn die Höchstnote.

Zum Abschluss gönnte ich mir den für mich obligatorischen „Ristretto“, der auch tadellos war. Kurz, kräftig, so soll das sein.

Und ganz zum Schluss wurden uns noch zwei Kostproben einer spanischen Cuvée kredenzt, die hervorragend war. Den Namen des Weines und des Winzers habe ich leider vergessen, man verzeihe mir. Die Rechnung von € 54,00 beglichen wir in bar, Preis/Leistung sind meiner Meinung nach absolut in Ordnung. Der Kaffee sowie die letzten Kostproben aus Spanien gingen aufs Haus, eine nette Geste.

Ein Manko muss ich fairerweise trotzdem erwähnen: Wir wurden weder per QR-Code, noch per Zettelwirtschaft registriert.

Sorry, das geht gar nicht. So lästig es (für Gäste und Wirt) ist, - it’s the law.

Wir alle wünschen uns, dass COVID irgendwann vorbei (oder zumindest im Griff) ist, bis dahin macht Registrierungspflicht halt schon hochgradig Sinn, auch wenn sie mühsam ist. Wegen dem Contact Tracing warat’s, und bitte jetzt keine bösen Kommentare, ob das Contact Tracing optimal gestafft und aufgegleist ist. Einhalten muss man Verordnungen trotzdem, - „it is, what it is“, würden meine amerikanischen Freunde jetzt sagen.

Nachdem ich in meiner Fluglinie nebst dem (leider momentan nur ab und zu) Fliegen für das Einhalten von Regularien und Prozessen verantwortlich bin, tue ich mich halt mit solchen bewusst oder unbewusst gesetzten Verstößen wirklich schwer.

Und trotzdem, summa summarum ist das Glasweise ein nettes und sehr gemütliches Lokal, in dem man nicht nur bei einigen Gläsern Wein gut „versumpern“ kann, sondern in dem auch interessante und hochwertige Küche angeboten wird, auch wenn sie zu Recht nicht in bekannte Schablonen gepresst werden will.

Das Verständnis, mit hochwertigen Produkten zu arbeiten, ist im Glasweise vorhanden, der Service ist aufmerksam und freundlich, man fühlt sich dort gut aufgehoben.

Werden wir wiederkommen? Ja, natürlich. Es gibt noch viel auf der Karte, das probiert werden will und noch mindestens so viele Weine, die verkostet werden wollen. Ich werde Euch berichten.
Quiche mit Lauch und Speck, hervorragend - Glasweise - WienAmbiente 2 - Glasweise - WienSpargelsuppe, sehr, sehr gut - Glasweise - Wien
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