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Fr, 29. März 2024
adn1966
Experte
am 23. Dezember 2021
SpeisenAmbienteService
Die Feinkosterei also.

Ein vorweihnachtlicher Spaziergang führte die Liebste und mich in den Ersten, der Plan war, das Kaufen eines Weihnachtsbäumchens mit einem Lunch zu verbinden. Der erste Teil des Plans ging auf, der Zweite Leider nicht, das Lokal unserer Wahl, das Martinelli im Palais Harrach war leider zu, auf telefonische Nachfrage wurde uns erklärt, dass man den Lockdown und die Zeit danach für eine Renovierung nützen will. Spontanes „replanning“ war nun also gefragt, in der Fliegerei nennen wir das „zum Alternate fliegen“, also zum Ausweichflughafen. Gut, Möglichkeiten gibt es in dieser Gegend ja genug.

Schon länger war mir am Judenplatz die Feinkosterei aufgefallen und damit bot sich heute eine spontane Gelegenheit, das Lokal auszuprobieren. Wir hatten Glück, ein Hochtisch an der Bar war noch frei. 2G wurde brav kontrolliert, wenn auch, ohne einen Ausweis zu verlangen und damit den grünen Pass mit den Daten des Besitzers abzugleichen.

Das Ambiente des Lokals ist modern, hell, nicht ungemütlich, obwohl ich uns hier eher zu Mittag sehe, - für den langen, entspannten Abend ist es für uns nicht gemütlich genug.

Der freundliche Servicemitarbeiter frägt nach Getränken vorab und überzeugt uns ohne großen Widerstand unsererseits mit je einem Achterl „Roter Muskateller“ (kannte ich noch nicht). Nach dem Winzer hab ich nicht nachgefragt, man verzeihe mir diesen Lapsus.

Der Rote Muskateller kommt prompt (und schmeckt jetzt nicht sehr viel anders als ein Gelber) und wir studieren die Karte. Das Konzept ist offenbar traditionelle österreichische Küche im Tapas-Format, witzig auf einer Karte im Klemmbrettformat präsentiert, es finden sich viele Verdächtige von Schnitzel, Beuschel, Gulasch, aber auch interessantes wie Leberkäs-Semmel oder „das Beste vom Würstelstand“ – quasi ein Querschnitt des Würstelstand-Angebots in Tapas-Form. Witzig.

Es gibt Wochengerichte, die man mit Suppe (in Normalgröße) oder Salat kombinieren kann, irgendwie ein witziges, durchaus durchdachtes Konzept, das anspricht. Der Service ist flink und die prozessuale Logistik auch gut durchdacht (auf einem kleinen Gerät wird eingegeben, welche Tapas als Gang Nr. 1 oder Nr. 2 serviert werden sollen), soweit so gut.

Die Liebste entscheidet sich für ein Backhendl mit Salat als Gang Nr. 1 und für gefüllte Krautrouladen als Gang Nr. 2. Ich eröffne mit den gebackenen Champignons mit hausgemachter Sauce Tartar und als Gang Nr. 2 für das Beuscherl mit Semmelknödel.

Das Backhenderl der Liebsten ist ein kleines Stück Hühnerbrust, zart, saftig und gut paniert. Dazu ein Schüsserl Salat. Nun ist ja die Erwartungshaltung bei Backhendl das Spiel zwischen verschiedenen Hühnerteilen, ein bisschen Brust, ein Flügerl, ein Haxl, usw. Zugegeben, das in Tapasform anzubieten ist natürlich nicht einfach, aber es wäre schon machbar, z.B. in einem Körbchen ein Flügerl und ein kleines Stück Filet oder Brust zu servieren.

Meine Champignons sind als Portion reichlich (mehr als eine Tapas-Portion) und sehr gut. Mini-Champignons, aber das soll mir recht sein. Die hausgemachte Sauce Tartar ist sehr Mayo-lastig und lässt die übliche Säure einer guten Sauce Trara vermissen. Insgesamt aber ein sehr guter Gang.
Beim Hauptgang schwächelt die Feinkosterei. Der Liebsten Krautroulade ist recht fad, das Fleisch wurde offenbar roh in die Rouladen gefüllt und erhielt dadurch eine sehr kompakte Konsistenz. Hat man bulgarische, serbische oder ungarische Krautrouladen (Sarma, Syrmi, etc.) einmal probiert, kann man mit dieser recht faden Variante nur wenig anfangen. Ein Tipp: das Fleisch mit Zwiebeln und Gewürzen anrösten, bevor man es in die Krautblätter wickelt, macht das Ganze viel saftiger und würziger.

Mein Beuscherl ist als Portion zwar gut dimensioniert (kleines Schüsserl), mit zwei Semmelknödeln in der Mitte drapiert, qualitativ hatte ich das allerdings schon besser.

Beim Knödel hege ich den Verdacht, er war schon einmal eingefroren, die Textur war jedenfalls nicht so fluffig und locker, wie man es bei einem hausgemachten Knödel erwartet. Das Beuschel war, was die Qualität der Produkte betrifft, gut, irgendwie aber dann doch weit vom klassischen Beuschel entfernt, ein Räucheraroma (keine Ahnung, wie sie das dort hineinbekommen haben) hat das Spiel von Säure und Geschmack von Lunge/Herz leider vollkommen erschlagen.

Für ein Dessert war leider weder Zeit noch Platz, der Lunch schlug sich mit ca. 50 Euronen inkl. Maut zu Buche, Kartenzahlung wird akzeptiert.

Kein schlechtes Lokal, motivierte Mitarbeiter:innen in einem durchaus netten Ambiente in einer Top-Location, und doch glaube ich, hier geht qualitativ noch mehr. Das Konzept ist ausbaufähig und die witzigen Ideen wie „Würstelstand-Tapas“ oder „Leberkäse-Semmel“ haben was, wie auch die Idee, Klassiker der Wiener Küche im Kleinformat anzubieten, damit der Gast mehr als nur ein Gericht probieren kann.

In der Umsetzung, dem Geschmackserlebnis, reicht’s leider nicht für die Höchstnote, aber insgesamt war es schon ein sehr netter Aufenthalt.
Beuschel mit Knödel - Feinkosterei Schwarz Hirsch - WienGebackene Champignons mit hausgemachter Sauce Tartar - Feinkosterei Schwarz Hirsch - WienSpeisekarte - Feinkosterei Schwarz Hirsch - Wien
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