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Fr, 3. Mai 2024

Café Westend, Wien - Bewertung

Experte
am 7. Dezember 2023
SpeisenAmbienteService
Café Westend – aus alt wird alt & neu

Viele im traditionell gehaltenen Stil geführte Kaffeehäuser außerhalb der City gibt es nicht, wäre da nicht das Westend als echter Ausreißer zu erwähnen.

Dabei war ich früher darüber gar nicht so erbaut, denn trotz eines höchst klassizistischen Ambientes, hohe Räume, Stuckdecken, Parkettboden, Marmortische, alles was das ehrwürdige Kaffeehaus und der verwöhnte Wiener braucht, nur war das Angebot sehr gewöhnlich, dafür gespickt mit einer dreisten Preisgestaltung.

Das waren für mich doch deutliche Signale und es kam fast wie es kommen musste. Die Coronazeit tat das Übrige hinzu. Das Café schlitterte 2022 ins gastronomische Nirwana und das trotz der letzten Patronanz unter der Cafétiers-Familie Diglas. Ja, so kann’s gehen und aus die Maus. Auch die haben nicht immer Erfolg.

Aber wenn noch Zeichen und Wunder geschehen, dann war das 2023 der Fall. Ein beherzter Unternehmer, mir an sich unbekannt, nahm sich der Sache an, übernahm es und da ist es wieder. Zu meiner großen Freude sind die Preise völlig ins Lot gekommen. Also Leute, es geht, wenn man will.

Einige Zeit wagte ich noch keine Prognose, denn wenn man sich kurz an das Café Griensteidl erinnert, das kurz als Café Klimt weitergeführt wurde, das aber für nicht einmal eine Saison und dann kam der endgütige Todesstoß, so war ich skeptisch.

Wird das hier auch so ein kurzes Aufflackern? Nun, die Saison 2023 geht dem Ende zu und es ist regelrecht bummvoll und zeigt nach mehreren Besuchen meinerseits kräftige Lebenszeichen. Man hofft so auch auf eine erfolgreiche Zeit 2024 und danach.

Eine Frage stellt sich mir: Ob das Konzept aufgehen wird? Der neue Besitzer möchte mehr als nur ein Kaffee. Es soll auch eine Bar werden im Stil „gemütlich“. Überdies ist ein besserer Gastgarten geplant, das aber bei der Lage unmittelbar an der Gürtelhölle, na wir werden sehen.

Für eine Abendbar sehe ich noch keine Anzeichen, zumindest was das Gästeverhalten anbelangt, es würde mir jedoch nichts ausmachen. Dazu müsste für meine Begriffe auch die Karte noch erweitert werden. Es gibt zwar schon eine eigene Bar-Karte (ab 17 Uhr), aber sie hat noch Potential nach oben.

Für mich bleibt es was es ist, ein Kaffeehaus, anspruchsvoll und weiter seiner Wiener Kultur verpflichtet. Unter dieser Prämisse besuche ich es und nunmehr auch wieder häufiger. Das naheliegende Café Ritter hat also gute Konkurrenz bekommen, und das ist schon gut so. 😉


Ein paar kulinarische Takte

Es sei mir erlaubt wieder über den Hauptdarsteller zu plaudern. Dafür steht für mich Kaffee. Wie in vielen anderen Cafés in Wien dominiert die Sorte Meinl, aber je nach Einstellung der Maschinen oder auch der Barista-Leute kann er von Top bis zum G’schloder alles sein.

Also ergeht dazu immer mein Standard-Sprücherl:„Bitte kurz oder ristretto, also kräftig, wenn’s geht.“ Ob das wirklich geht oder nicht hängt dann davon ab, wer schneller ist, der Kellner mit der Eingabe einer Zusatzinfo oder die Barista- Leute, die sich sofort dranmachen, noch ehe die Zusatzwünsche angekommen sind.

So kommt er mal nahezu perfekt, oder auch wieder so unterdurchschnittlich wie gewohnt daher. Aber das Sprücherl erhöht, wie man sieht, doch meine Chancen auf den guten Kaffeegenuss.

Der Preis mit gegenwärtig 4,50€ für den großen Espresso/Braunen oder 3,90€ für die Melange absolut hochanständig, wie ich das eingangs schon lobend vermerkt hatte. Daran dürfen sich andere gerne messen.

Was Speisen anbelangt war mir das erste Gulasch viel zu ungewürzt, da kam nicht viel Stimmung auf, keine Note langgesottenen Schmorens in vertrauter Zwiebel-, Kümmel- und Majoranumgebung, was ich auch eher lustlos verspeist hatte, die Semmelknödel hingegen in Ordnung.

Eine weitere Erfahrung hatte ich mit Schinkenfleckerl, ausnehmend frisch und saftig, nur ersoffen in Obersauce, das war wieder nicht der Bringer, aber besser als das Gulasch. Der Schinken dafür vorzüglich, das war schon am feinen Duft erkennbar.

Bei einem solcher Besuche erspähte ich linkerhand eine auf den ersten Blick gut aussehende Sachertorte, aber als ich sie geordert hatte, war der erste Anflug an Euphorie rasch wieder dahin. Sie war mehr die typische Schoko-Safttorte als ich sie mit dem Titel „Sacher“ auszeichnen würde. Nun denn, Geschmäcker sind verschieden.

Beim 4. Besuch dann doch ein Lichtblick mit einem feinen warmen Apfelstrudel. Der Preis zwar heiß mit 7,30€, weil er mit Vanillesauce serviert wird, die ich aber durch Schlagobers ersetzen ließ. Hier hat man den Preis seit Eröffnung (damals 5,80€) nachgezogen.

Der war herzhaft gut. Es fehlt nur mehr noch der von mir hoch geschätzte Walnusskick, ansonsten war alles paletti, man spürte die Äpfel in ganzen Stücken, kein Gatsch und sehr gut untermengt mit Bröseln.

Doch ja, mehr Schlagobers ginge schon, das war ja kaum eine Kinderportion, die würden sicher mehr als ich verdrücken können, denn am Preis änderte das nichts.

Ich sagte schon in anderen Rezensionen, das Kaffeehaus inspiriert mich nicht wegen der Speisen, hin und wieder gelüstet mich danach, dann mehr kleine Gerichte, dafür lebt es vom Flair eines bezaubernden Ambientes um dort meinen Freizeitgestaltungen in mir vertrauter Umgebung nachzugehen.

Der wichtigste kulinarische Begleiter ist und bleibt der anspruchsvolle Espresso, was beizeiten der Fall ist oder weitere Getränke. Man führt im Vergleich zu anderen Kaffeehäusern eine kleine, aber respektable Weinkarte, will man sich mal eine Bouteille gönnen. Das sei lobend erwähnt.


Ausklänge und Aussichten

In Sachen „Bar“ warte ich noch ab, was die weiteren Entwicklungen zeigen. Nun, ein Camapri-Soda ist dazu noch keine Offenbarung, aber damit nehme ich auch vorlieb, wenn ich beizeiten vom Kaffee genug habe. Ein Negroni möchte noch ausprobiert werden, und siehe da, meine Whisky-Favoriten Talisker (10y) und Lagavulin (16y) sind auch vertreten.

Man könnte mir etwas mehr Campari gönnen, das letzte Campari-Soda war schlicht nur gefärbtes Sodawasser mit Eis, der Geschmack mehr in den Gedanken als im Gaumen wahrnehmbar. Ich hätte es urigeren sollen, nur steht mir nicht immer danach der Sinn. Man hat ja auch andere Dinge im Kopf.

Das Servicepersonal macht seinen Job sehr gut, ein Mix aus Wienern und Neo-Wienern, wenn man das so sagen darf, so wandeln sich nun auch die Zeiten, aber ich habe keinen Grund gefunden an der Serviceleistung etwas auszusetzen, Pech für einen typischen Wiener nostalgischer Bauart. 😉

Alles in allem bin ich doch froh und dankbar dieses Kleinod in gar nicht allzu weiter Entfernung meines Wohnortes in seiner Neuauflage vorzufinden, liegt es auch perfekt an einem Verkehrsknotenpunkt der U3 und U6 direkt beim Westbahnhof, ist also gut erreichbar. Ich nutze es so auch als Treffpunkt.

Das Café Westend hat mich jedenfalls nach mehreren Jahren der Abstinenz wieder gefunden und solches freut mich als Fan dieser vor dem Aussterben bedroht stehenden Spezies eines Wiener Kulturgutes.
Café Westend - Campari Soda - schlicht aber erfrischend - ich finde die ... - Café Westend - WienCafé Westend - Abendstimmung - Barbetrieb ab 17 Uhr - Café Westend - WienCafé Westend - Apfelstrudel (ohne Vanillesauce) - sehr gut - Café Westend - Wien
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1 Kommentar
ChristianD3

Trotz der Länge ein kurzweiliger und gut recherchierter Bericht… von mir 250 Punkte für d. Rangliste ;-)

8. Dez 2023, 10:06Gefällt mir1
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