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Mo, 6. Mai 2024

Café Sperl, Wien - Bewertung

Experte
am 30. März 2024
SpeisenAmbienteService
Das Café Sperl im Lichte der Zeit

Das Café Sperl fristet mittlerweile ein in den Hintergrund gerücktes Dasein. Das kann man nicht bloß auf die weniger frequentierte Lage in Gumpendorf zurückführen, wiewohl das auch mitspeilt. Dabei liegt es für mich zwischen Mariahilfer Straße und Naschmarkt nicht so schlecht, wo ich mich oft genug herumtreibe.

Als Kaffeehaus-Liebhaber überlege ich mir doch ins Café Ritter einzukehren, aber hin und wieder zieht es mich hierher, rein schon um der Nostalgie wegen. Dabei war es einst ein von Literaten hochfrequentiertes Café, aber Nostalgie allein erhält heute kein Lokal mehr am Leben.

Man wirbt mit der Gründungszeit seit anno 1880 und führt promiente Namen auf, die hier schon abgestiegen sind, nur wenn man davon hier nichts sieht, was hat man dann davon? Hin und wieder gibt es literarische Abende.

Beim letzten Mal war es sehr gut besucht. Das variiert, mal halbleer, mal regelrecht bummvoll. Das Ambiente ist jedenfalls anspruchsvoll, besonders die Stuckdecke, man fühlt sich um 100 Jahre zurückversetzt, wiewohl mich die abgewetzten Sitzpolster weniger beeindrucken. In Summe ist es dunkel und wirkt auf mich etwas mystisch, wenn das Tageslicht fehlt, das dämpft etwas meinen Wohlfühlfaktor.

Doch tatsächlich spielte man bei meinem letzten Besuch sogar Billard, für das auch geworben wird, und ich konnte regelmäßig den Klang aufeinanderprallender Kugeln hören. Das war allerdings das erste Mal nach Jahren, dass ich hier jemand spielen habe sehen, allerdings kehre ich, wie ich schon sagte, nicht allzu oft ein.

Ein Anziehungspunkt ist sicher der kleine Gastgarten vor dem Lokal für die schönere Jahreszeit, der dank unserer Wiener Stadtgärtner rundum ein animiertes Pflanzenbild erzeugt. Das ist vielleicht weniger der Verdienst des Sperls, wohl aber gebührt hier mein Dank den Mitarbeitern der MA42.

Dennoch sieht man mich nicht oft hier. Warum? Der Hauptgrund liegt weit weniger am Ambiente, sondern an einer etwas unterdurchschnittlichen Kulinarik. Ich kann mich der letzten Rezension anschließen, würde aber mein Urteil nicht so hart ausfallen lassen.


Sperl Kulinarik

Red‘ ma ein paar Takte über Speis und Trank. Kaffeelieferant ist klassisch Meinl, zu einem angemessenen Preis von 4,90€ für den großen Mocca. Hier unterstützt mich die Karte, dass man ihn auf Wunsch auch „kurz“ anbietet und man versteht diese Ansprache somit auch ohne viel Erklärung.

Der letzte war dennoch nicht stark genug, tja das ewige Werk der Barista halt, mein altes persönliches Leid, das ich rundum in Wien beklage. Da wünscht man sich hin und wieder italienische Kultur in Wien.

Man frühstück recht gut, aufregend sind die Angebote nicht, aber der für mich in Wien gültige Standard wird zufriedenstellend erfüllt.

Leider pflegt man hier keine Gulaschtradition, ein echter Minuspunkt meinerseits, der einen wichtigen Bestandteil für mein Besuchsverhalten darstellt, auch die Gulaschsuppe gibt es nicht. Das ist, soweit ich mich entsinne, das einzige Kaffeehaus, welches nichts dergleichen im Programm hat, warum, weiß ich nicht.

Aber es gibt klarerweise noch andere kleinere Speisen, wobei die letzten Schinkenfleckerl nicht frisch waren. Damit komme ich zu dem Punkt, der mir hier schon öfter aufgefallen ist. Man hält es da nicht so genau mit der Qualität. So mein Eindruck.

Dafür hatte ich bei Nockerln nach Art des Hauses Glück. Man mengt dazu etwas angerösteten Speck, das erzeugt einen guten Umami-Kick. Die Nockerl waren saftig, frisch und schmeckten ausgezeichnet. Der Beilagen-Salat war leider eine Mindermenge im Verhältnis zur Portion der Nockerln.

Das war letztes Mal wieder anders, also was ich damit sagen will ist, dass es mal passt und mal gibt es eben den einen oder anderen Mangel. Das waren lediglich zwei Erfahrungen, die aber repräsentativ für meine Besuche waren. Ich muss hier ein Auge zudrücken, wenn ich in Summe Speis und Trank mit gut bewerte, weil ich dabei vorwiegend das Frühstücksangebot im Auge habe.


Service und Wertung

Der Service ist durchwachsen, die Keller machen sicher ihren Job brav und anständig, dagegen kann ich nichts sagen, die sog. individuelle Note finde ich allerdings nicht vor. Bei mehreren Frühstückszeiten war die Bedienung aber definitiv nachlässig,

Die Laschheit nervte zeitweise. Vielleicht war das die Chefin selbst, das müsste ich nachforschen, aber mir liegt nichts daran, Steine zu werfen. Schließlich ist es ihr Lokal. Dabei war oft gar nicht so viel los, und dennoch fühlte man sich etwas verlassen.

Wie ich sagte liegt es nicht am Ambiente, aber die gesamte Lokalführung lässt mich hin und wieder etwas ratlos zurück.

Also es gibt schöne Tage, da fröne ich meiner Leidenschaft im Freien zu sitzen, konsumiere vielleicht nur einen Espresso, ein Glas Weißwein oder ein simples Campari-Soda und meine Seele durchlebt die heile Welt und es gibt Tage, da muss ich etwas den Kopf schütteln.

Wiewohl ich das Café Sperl eindeutig zu den traditionellen Kaffeehäusern unserer Stadt zähle und es mir leid täte würde es von der Bildfläche verschwinden, wie es anderen leidvoll schon ergangen ist, so hält sich meine Begeisterung in Grenzen.

Wie ich eingangs bereits sagte kann man von Tradition und Nostalgie alleine nicht leben, man muss auch investieren oder neue Akzente setzen, will man, dass es eine Zukunft hat.

Und Hand auf Herz, ein Wiener Kaffeehaus, das auf Tradition setzt, auch etwas von sich hält und kein kleines Gulasch hat, jo heast, wo samma bitte! Das geht in meinen Augen nicht.
Café Sperl - Großer Mocca - trotz "kurz" keine wirkliche Cremabildung, ... - Café Sperl - WienCafé Sperl - Hausgemachte Nockerln, die waren sehr gut - Café Sperl - WienCafé Sperl - Linker Flügel - der Hauptgastraum (bei Tageslicht) - Café Sperl - Wien
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2 Kommentare
Rodauner

Hab mir jetzt, angeregt durch Deine Rezension, die online Speisekarte angesehen: 5,80 für 0,5l Soda Zitron. Spinnen die? Das hat doch nichts mehr mit realen Preisen zu tun- das ist nur mehr gierig

30. Mär, 08:58Gefällt mir2
ChristianD3

NUR auf d. Nostalgie zu setzen kann man machen - sollte man aber nicht - wird nämlich auf Dauer zu einem langsamen Sterben führen…

30. Mär, 08:38Gefällt mir3
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