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Do, 28. März 2024

Il Melograno - Bewertung

adn1966
Experte
am 24. September 2022
SpeisenAmbienteService
Das „Il Melograno“, also der Granatapfel, stand schon länger auf unserer To-Do Liste. Einerseits nach Empfehlung von Freunden, andererseits nachdem wir das Restaurant in der Sendung „Mein Lokal, Dein Lokal“ gesehen hatten, wo sich Roberto d’Atri, der Patron des Restaurants, als sehr sympathischer Vollblutgastronom präsentiert hat.

Laut Homepage entspringt das Lokal einer sich über sechs Generationen dauernden Familientradition als Gastronomen, die in Apulien begonnen hat und nun im Zentrum von Wien weitergeführt wird.

Das Lokal liegt in einer der schönsten Gasserln im Ersten, in der Blumenstockgasse, ein Gässchen, das sich als Fußgängerzone zwischen der Rauhenstein und Weihburg befindet, am Weg dorthin geht sie in die ebenso kleine und beschauliche Ballgasse über. Top Lage, wenn auch natürlich etwas versteckt. Im Sommer gibt’s auch einen kleinen Garten, bei unserem Besuch an einem schon etwas frischen Abend war dieser allerdings nicht mehr bespielt. Ein Tisch mit Aschenbecher vor der Tür schuf für uns allerdings einen gemütlichen Platz für ein Zigaretterl zwischen den Gängen. Im gegenüber liegenden Stadtheurigen „Gigerl“ fand an diesem Abend ein „Spätsommerfest“ statt, Musik, Modenschau in der Gasse, Fotografen, etwas Promi-Alarm inklusive. Also bekamen wir bei unseren Ausflügen an den Rauchertisch draußen auch etwas zu sehen, - add-on entertainment quasi.

Wir hatten schon vor Wochen einmal versucht einen Tisch zu bekommen, was leider an einer geschlossenen Gesellschaft im Lokal scheiterte. Die telefonische Antwort auf meine Reservierung war sehr, sehr freundlich und es folgte auch ein kleiner Emailwechsel mit dem Besitzer, Herrn d’Atri, der sehr nett und sehr persönlich war. So soll’s sein. Für das Zelebrieren des Hochzeitstages der Liebsten und mir hat’s dann geklappt, der Rahmen – etwas Besonderes soll es ja für diesen Anlass schon sein – passt.

Herr d’Atri hat auch den ganzen Abend über bewiesen, dass er „Gastro“ in den Adern und in seiner DNS hat. Ständig „an der Front“ präsent, servierend, beratend, sein Team immer im Auge, aber auch Zeit für Fragen nach der Zufriedenheit und ob’s geschmeckt hat und auch Zeit für das ein oder andere Plauscherl mit Stammgästen.

Und doch, ein wenig ratlos lässt mich unser Besuch im „Il Melograno“ dann schon zurück. Vielleicht kennt Ihr das, wenn Ihr in einem Lokal wart, wo eigentlich nichts, gar nichts falsch gemacht wurde, wo hohes Niveau in Küche und Service omnipräsent war und doch, wo der Funke dann trotzdem nicht so wie erwartet übergesprungen ist. Wie bewertet man so einen Lokalbesuch? Schwierig. Also hier mein Versuch, es aufzudröseln:

Ambiente:

Ein schönes Lokal mit modernen Elementen, trotzdem auch ein bisschen „klassisch“, alles sehr edel. Die Tische in Leder, was haptisch schon was kann, irgendwie nicht ganz meins ist. Alles ist eher dunkel gehalten, aber schon mit Stil. Platz ist mehr als genug, man hat die Anzahl der Tische nicht so maximiert, dass, wie es manchmal der Fall ist, man zu eng an anderen Restaurantbesuchern sitzt.

Es gibt sogar einen Musiker, der die Gäste mit sehr schöner Musik auf der Geige entzückt, aber auch hier hat Signore d’Atri sich etwas sehr Gutes überlegt. Der Musiker geht nicht, wie in manchen Lokalen, von Tisch zu Tisch, er spielt in der Nähe des Eingangs zum Lokal, ist aber offenbar mit dem Musiksystem des Lokals verbunden, so dass die Musik dezent über im Lokal verteilte, kleine, aber hochwertige Lautsprechern beim Gast ankommt. Tadellose Lösung und hat für eine sehr, sehr angenehme Musikbegleitung an unserem Abend gesorgt.

Speisen/Getränke:

Wir eröffnen mit je einem Glas Champagner, wegen dem Hochzeitstag warat’s, der will schon gefeiert werden. Eine Flasche Wasser dazu und bitte auch die Weinkarte. Bei den Weinen, vorwiegend natürlich aus Italien, sieht man Preise, die von ca. 50 bis weit über 700 € reichen. Wir entscheiden uns für eine Flasche Primitivo Anniversario 62 um ca. 90 €, Herr d’Atri bestätigt uns, dass es sich hierbei um einen sensationellen Primitivo handelt.

Die Anzahl der Speisen auf der Karte ist verhältnismäßig klein, deckt aber die Klassiker der italienischen Küche und etwas darüber hinaus (dry aged Ribeye aus den USA) ab. Pasta, Fisch, manches für zwei Personen (z.B. Branzino, Bistecca Fiorentina), Beilagen, Salate, Saucen und Dolce. Bei einigen Gerichten wird unterstrichen, dass die Zubereitung am Tisch erfolgt, das scheint einer der USPs des Lokals zu sein.

Ich entscheide mich für Cavatelli alla Bolognese, die lt. Karte aus einem Ragout von Lamm, Kalb und Rind gemacht wird. Die Liebste wählt das dry-aged Ribeye mit stattlichen 350 gr., als Beilage soll es gegrilltes Gemüse sein. Vorab entscheiden wir uns für die „handgezogene Burrata aus Andria, dem Geburtsort der unverfälschten, echten Burrata aus Apulien“, serviert mit Honigtomaten und frischem Basilikum, diese Vorspeise wird am Tisch zubereitet und gibt’s auch nur ab zwei Personen.

Vorab wird ein Körbchen mit hausgemachten, hervorragenden Crostini und Weißbrot eingestellt, am Tisch steht auch eine Flasche des hauseigenen, hochwertigen Olivenöls, das man auch für € 25,00 pro Literflasche kaufen kann. Eine Flasche mit Aceto Balsamico, lt. Auskunft von Hrn. D’Atri 14 Jahre gereift, sowie eine Salz- und Pfeffermühle stehen ebenso am Tisch. Let the games begin.

Die Burrata wird an einem Beistelltisch professionell mit Tomaten, Öl, Basilikum sehr hübsch angerichtet und serviert. Hands down die beste Burrata, die wir bisher genießen durften, bei den Speisen auch das Highlight des Abends.

Der Liebsten Steak, medium rare bestellt, kam mit kräftigen Grillspuren und etwas Jus daher, etwas zu sehr auf der „rare“ Seite, geschmacklich aber sehr gut. Initial mit Bratkartofferln serviert, hier dürfte ein kleiner Kommunikationslapsus zwischen Service und Küche passiert sein, wurde sofort korrigiert und es kam ein Schüsserl mit gegrilltem Gemüse. Dies wiederum war, vielleicht der Geschwindigkeit der Zubereitung geschuldet, um den Fehler zu korrigieren, eher mittelmäßig, eh nicht schlecht, aber nicht der Burner.

Meine Pasta war sehr gut, auf Extrawunsch kam auch ein Streuer mit einer selbstgemachten Peperoncino-Mischung, die vom Schärfegrad durchaus „für Erwachsene“ war. Das Ragout tadellos, die Pasta auf den Punkt gegart, insgesamt ein sehr rundes, wenn auch durchaus mächtiges Gericht.

Der Primitivo passte hervorragend zu unseren Speisen, alles sehr, sehr gut.

Jedesmal, wenn wir uns auf ein Zigaretterl nach außen verfügten, wurden Gläser aufgefüllt, abserviert, was abzuservieren war und auch z.B. die sehr hochwertige Stoffserviette neu auf den Tisch aufgelegt, sehr aufmerksam.

Für ein Dessert war leider kein Platz mehr, wir entschieden uns für zwei sehr gute Caffè Espresso und zwei Grappe, einmal weiß (Sauvignon Blanc) und einmal In Barrique (von der Prosecco-Traube). Im Restaurant gibt es einen sehr kompetenten Sommelier, der bei der Weinauswahl berät, den Wein dekantiert, aber auch bei der Auswahl des Grappa sehr kompetent berät. Sehr gut.

Ein weiteres Feature des Lokals ist, dass Gäste einen kostenlosen Fahrtendienst in Anspruch nehmen können. Als wir uns anschickten, zu gehen, kam Hr. d’Atri und informierte uns über diesen Service, wir müssten allerdings noch ca. 20 Minuten warten, bis der Fahrer von einer Fahrt zurückkommen würde. Gerne, machen wir und investieren Zeit und erspartes Taxigeld in noch je ein Glase eines tadellosen San Giovese. Dazwischen gab’s noch je ein Stamperl Limoncello aufs Haus und auch die zwei Fluchtachterln wurden nicht verrechnet.

Nach 20 Minuten erwartete uns ein Chauffeur samt sehr neuen und gepflegten Mercedes und chauffierte uns nach Hause.

Die Rechnung betrug mit den üblichen ca. 10% Maut € 350,00, klingt jetzt natürlich einmal sehr, sehr viel, ist aber in Hinblick auf Qualität, Ambiente, Service, aber auch auf die konsumierten Speisen und Getränke OK. Meine Pasta mit ca. 23 €, das Steak mit 49,00 €, für ein elegantes Restaurant mit dem Anspruch, Top Gastronomie zu liefern, durchaus in Ordnung.

Der gratis Fahrdienst ist eine sensationelle Idee, wie sich das in unserem schönen Hochsteuerland mit ebenso hohen Lohnnebenkosten rechnen kann, verschließt sich mir auf den ersten Blick, aber es ist ein wirklich tolles Feature.

Eigentlich haben Herr d’Atri und sein Team alles richtig gemacht, Ambiente toll, Speisen auf sehr hohem Niveau, Service sehr aufmerksam und sehr gut. Und doch, irgendwie sprang der Funke nicht über. Nehmen wir den Service: sehr aufmerksam, sehr professionell, für uns etwas zu formell und fast schon servil. Etwas mehr persönliche Ansprache, Lockerheit würde auch in diesem sehr formellen Setting guttun.

Die Omnipräsenz des Padrone ist bewundernswert, aber auch er kommt etwas zu formell und unnahbar rüber, Freundlichkeit ja, echte, nicht gespielte Herzlichkeit kommt nicht ganz rüber.

Ich verstehe den sehr traditionellen Ansatz des Il Melograno, den Herr d’Atri auch auf sehr hohem Niveau umsetzt. Ein bisschen Entstauben des – für mich – ein bisschen zu Steifen stünde dem Il Melograno gut zu Gesicht, etwas mehr „Menscheln“ am Gast, etwas weniger „Chi – Chi“. Es ist spektakulär, dass Vieles am Tisch zubereitet wird (so durften wir sehen, wie am Nachbartisch ein Tiramisu spektakulär am Tisch gezaubert wurde, mit Flambieren und alles), insgesamt ist das (subjektiv für mich) ein bisschen „too much“. Zu steif, zu formal, das Ganze, wenn auch auf Top-Niveau. It’s a fine line, I know, wie man 5 Sterne Gastronomie auch etwas lockerer und etwas moderner umsetzt, ohne Traditionen in Küche und Historie aufzugeben, aber ich kenne auch Beispiele von Restaurants, die genau das schaffen.

Werden wir wiederkommen? We’ll see.
Ambiente - Il Melograno - WienDry Aged Ribeye Steak, gut, etwas zu "rare" - Il Melograno - WienChampagner - Il Melograno - Wien
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2 Kommentare

Toll geschriebener Bericht - schade, daß man Euch nicht zu 100 % "erreicht" hat. Ich kenne das Gefühl ... Ich glaube aber nicht, das es dabei um´s "Dinge vorgaukeln" geht (WrKFan) - nicht jedes Konzept eines Lokals kann jeden Gast uneingeschränkt zufriedenstellen. Es sind oft Kleinigkeiten und Nuancen die einen unbewußt stören... würden wir doch ansonsten alle im selben Restaurant sitzen ;-) Es lebe die Vielfalt der Lokalitäten und auch die persönlichen Vorlieben von uns Gästen und jeder von uns im Forum hat ja auch längst schon seine "5-5-5-Locations" entdeckt und würden wir ein ReTe-Treffen in einem dieser machen - jeder würde anschließend anders darüber berichten oder es anders empfunden haben.

26. Sep 2022, 15:44·Gefällt mir1

Ein lesenswerter Bericht wie eine lebenswerte Erfahrung, zeigt es auch, wie wichtig Authentizität ist. Trotz Top-Level mit tadelloser Leistung kam kein "ich fühle mich wohl" zustande. Und das liegt m.E. daran, dass man Dinge vormacht, was man nicht ist. Woran es liegt, zu straffe Personalführung, zu viel "Make Up" im Auftreten, zu viele Benimmregeln, whatever, es wird vom Gast die letzte Ursache nicht eruierbar sein, aber die Seele nimmt es wahr. Das Ergebnis ist das Fehlen der Zufriedenheit im Gesamterlebnis.

25. Sep 2022, 09:33·Gefällt mir1
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