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adn1966
Experte
am 9. Oktober 2020
SpeisenAmbienteService
Das „Feuervogel“ also.

Russisch essen, warum eigentlich nicht? Zwei Gründe haben uns dazu bewogen, das Lokal zu besuchen: zum Einen war das Lokal, an dem ich mit meinen Eltern als Kind immer wieder einmal vorbeigefahren bin, von außen so der Inbegriff eines vornehmen Restaurants, wie ich es aus Filmen kannte. Nun war in den Siebzigern die Lokallandschaft in Wien noch ganz anders, Wien war eine graue, biedere Stadt und es gab im Grunde nur Kaffeehäuser, Wirtshäuser und einige wenige gute Restaurants, keine Vielfalt, wie sie heute Gott sei Dank vorhanden ist.

Für meine Eltern und mich war das Feuervogel jedenfalls nicht in finanzieller Reichweite, daher war mir ein Besuch versagt. Oft und immer wieder habe ich mir über die Jahre im Vorbeifahren oder Vorbeigehen gedacht, das möchte ich einmal probieren, hat es mich doch als Kind so lange so sehr fasziniert.

Grund zwei ist, dass ich zwar noch nie in Russland war (mit Ausnahme von vielen Starts und Landungen auf diversen russischen Airports), dafür aber doch öfters in der Ukraine, wo ich Bekanntschaft mit der wirklich sehr guten ukrainischen Küche machen durfte. Auch in Tiflis durfte ich schon eine Woche verbringen und mich von Einheimischen durch die hervorragende georgische Küche führen lassen, also war die Neugier groß.

Eine Reservierung wurde wirklich schnell per Email bestätigt und wir begaben uns per pedes in die Alserbach, wo das Restaurant (Ecke Marktgasse) liegt.

Von außen hat sich das Restaurant in den vielen Jahren nicht wirklich verändert und irgendwie ist in den Vitrinen, die an der Wand befestigt sind, die Zeit stehen geblieben. Alles ein wenig staubig und nicht sehr modern, hier könnte man vielleicht einmal eine Überarbeitung andenken.

Beim Eintreten steht man in einem kleinen Empfangsbereich, der auch Garderobe ist, und wird vom Besitzer des Restaurants sehr freundlich empfangen. Jacken/Mäntel werden abgenommen und ein Servicemitarbeiter führt uns zu unserem Tisch.

Das Ambiente ist deutlich anders, als ich es mir eigentlich vorgestellt hatte, gar nicht schweres, steifes Ambiente, recht bunt mit viel Wandmalerei, durchaus nicht ungemütlich und doch irgendwie ein bisschen „Old-school“ (ich will das aber nicht negativ konnotiert wissen), die russische Musik (Volkslieder, Schlager) kommt hier noch von einer klassischen Turm-Stereoanlage.

Die Tische sind weiß eingedeckt, pro Tisch eine recht große Lampe und eine Vase mit leider künstlichen Blumen, was für mich gar nicht geht. Dann besser gar keine Blumen, aber diese Stoffsträuße sind einfach furchtbar.

Der Service wiederum war den ganzen Abend über sehr aufmerksam und freundlich. Es werden Speisen empfohlen und man erfährt auch viel interessantes über die Geschichte des Restaurants, dass es z.B. seit 97 (!) Jahren im Familienbesitz ist und nun in dritter Generation geführt wird, beeindruckend.

Um russische Klischees zu bedienen und weil wir ohnedies zu Fuß unterwegs sind, starten wir mit einem Aperitif in Form von Wodka, zu dem ein Kännchen mit Orangensaft eingestellt wird. Bei der Auswahl der Speisen folgen wir der Empfehlung des Chefs und des Kellners, das „Kreml-Menu“ zu versuchen. Dies besteht aus einer gemischten, kalten Vorspeisenplatte, einer kleinen Schale Suppe, die aus vier Varianten gewählt werden kann (wir entscheiden uns für den würzigen Borschtsch, einer Hauptspeisenplatte, die es ebenfalls in „mild“ und „würzig“ bzw. Fleisch/Fisch gibt.

Wir entschieden uns für die Fleischvariante, die milde Variante beinhaltet eine kleine Portion Boeuf Stroganoff, ein Stück Hühnerbrust Kiew, eine kleine Portion rosa gebratenes Kalbsfilet und Kartoffelblinis.

Die würzige Variante beinhaltet eine würzigere Variante des Kiew-Hühnchens, einen Schaschlik mit Reispilaf, eine würzigere Variante des Boeuf Stroganoff und ebenfalls Kartoffelblinis. Danach gibt es eine gemischte Dessertplatte.

Die Vorspeisenplatte „Zakuska“, also Imbiss oder auch Frühstück, kam rechtzeitig zum Wodka in Form einer stattlichen Platte mit mariniertem Hering, 2 geräucherten, kleinen Fischen, einem hervorragenden Räucherlachs, etwas Rohschinken, ebenfalls hervorragend, einer ukrainischen Variante von gefüllten Weinblättern, tadellos, einer russischen Salamivariante, sowie zwei Stück „russische Eier“, also gefüllte und mit Kaviar drapierte halbe gekochte Eier, die auf einem Bett Gemüsemayonnaise oder, wie man es z.B. in Bulgarien nennt, russischer Salat, lagen. Sehr reichhaltig, sehr gut zum Wodka passend und sehr wohlschmeckend.

Zwischen den Gängen gibt es angenehme Pausen, es wird auch immer abgefragt, wann der nächste Gang serviert werden soll, was uns die ein oder andere Zigarettenpause vor der Tür ermöglichte, wo ein Aschenbecher auf einem Tischchen steht, der tatsächlich nach jeder Zigarette entleert wurde. Vorbildlich.

Die Suppen waren gut und zum Glück wirklich nur je eine kleine Tasse, wobei ich in der Ukraine auch schon würzigeren, besseren Borschtsch gegessen habe. Auf Wunsch wurde bei der Liebsten auf Sauerrahm verzichtet.

Nach einer weiteren Pause dann Auftritt der Hauptspeisen in Form von 4 Schälchen auf einer Platte. Die Liebste hatte die milde, ich die würzige Fleischvariante des Kreml-Dinners.

Nun ja, abgesehen davon, dass die Größe dieses Degustationsmenus meines Erachtens zu gut gemeint ist, gibt es hier in ein Punkten etwas Verbesserungsbedarf:

Die beiden Portionen Boeuf Stroganoff waren ident, meine mit reichlich Chili-Flakes gewürzt, was dem Gericht zur versprochenen Schärfe verhalf. Passt und war auch sehr gut, hier könnte man etwas kreativer sein und die Würzigkeit für die würzige Stroganoff-Variante nicht nur mit einem Löffel Chiliflocken herstellen. Eine andere Sauce vielleicht, etwas frisch geschnittene Pfefferoni, einfach ein bisschen mehr Pfiffigkeit. Das Fleisch im Stroganoff war gut, wenn auch nicht das Zarteste, das ich in einem Stroganoff schon genießen durfte, hier ist schon noch Luft nach oben.

Die Hühnerbrust Kiew war gut, allerdings mit zu wenig Butter und damit eine recht trockene Angelegenheit. Aus dem Gericht muss, wenn man es anschneidet, reichlich Butter auslaufen und die Brust sollte sehr zart sein. Hier war es ein bisschen wie ein normales Hühnerschnitzel. Die würzige Abwandlung, die ich auf dem Teller fand, war eigentlich nicht wirklich würzig. Meine Hühnerbrust war mit einer Menge Chilifäden garniert, nach meinem Dafürhalten, nach Maggi et al., das sinnloseste aller Gewürze. Sind zwar als Deko ganz lieb (wenn man so etwas mag), schmecken nach nichts, haben eine lästige Konsistenz im Mund und sind nicht einmal ansatzweise scharf. Ich persönlich mag nur Deko am Teller, die ich auch genießen kann, so gesehen wäre ich auch hier zufriedener gewesen, hätte man die Würzigkeit etwas kreativer hergestellt.

Die Kartoffelblinis waren hervorragend, das Kalbsfilet ebenfalls, wenn auch nicht mehr rosa gebraten, sondern schon eher in Richtung well-done, aber immer noch sehr zart. Ist natürlich auch schwierig, weil der Garpunkt sich nach dem Servieren ja noch etwas verschiebt, und bei 4 Schälchen als Hauptgang kommt man nicht gleich dazu, alles zu probieren, also möchte ich der Küche hier nicht unterstellen, den Garpunkt verpasst zu haben.

Der Mini-Schaschlik bei meiner würzigen Variante des Kreml-Dinners war bei mir der Matchwinner, sehr zartes und tatsächlich gut gewürztes Fleisch, gute Grillaromen, perfekt.

Als Beilage gab es auch noch je ein Schüsserl gemischten Salat, eh gut, frisch, aber auch hier könnte man bei der Interpretation eines Beilagensalates noch etwas kreativer und zeitgemäßer sein.

Bei der Weinauswahl folgten wir ebenfalls der Empfehlung des Service, gereicht wurde (glasweise) ein braves Cabernetscherl georgischer Provenienz, jetzt nicht der beste Cabernet, den ich je getrunken hatte, aber als Weinbegleitung zum Essen durchaus satisfaktionsfähig.

Nach einer weiteren Pause kam die Dessertplatte, ein ebenfalls stattliches Ding, obwohl ich auf Grund der Tatsache, dass wir schon vollkommen satt waren und die Liebste so gut wie niemals etwas süßes isst, ersucht hatte, diese klein zu halten. Es fanden sich eine Vielzahl verschiedener russischer Desserts, kleine Küchlein, allesamt sehr gut, mit Schlagobers und einer Kugel Eis. Aber auch hier, way too much.

Zum Abschluss gab’s für uns noch je ein Glas Krimsekt aufs Haus, eine sehr nette Geste.

Speisen und Getränke schlugen sich mit etwas über 150 Euronen zu Buche, also inklusive Trinkgeld 170 €. Ist jetzt für einen Abend zu zweit nicht wirklich günstig, aber wir hatten ja auch Wodka als Aperitif, das ein oder andere Achterl Wein und zweimal das viergängige Degustationsmenu.

Das Lokal ist originell, gemütlich, der Service charmant und sehr aufmerksam, sowohl Chef, als auch Kellner. Die Geschichte des Lokals ist beeindruckend und man spürt, dass dem Besitzer wirklich viel daran liegt, seinen Gästen mit viel Herzblut und Leidenschaft einen genussreichen Streifzug durch die russische Küche zu bieten.

Hier und dort könnte man noch an ein paar Schrauben drehen und etwas mehr Raffinesse und Finesse, ohne die traditionelle Zubereitungsart aufgeben zu müssen, in die Zubereitung der Speisen einfließen lassen. Der Weg, den das Lokal eingeschlagen hat, ist grundsätzlich gut, die Qualität der Produkte, das konnten wir vor allem bei den Vorspeisen sehen, ist hoch.

Vielleicht kommen wir wieder, vorerst werden wir die anderen russischen Restaurants in Wien probieren, allzu viele sind es nicht, ich werde Euch berichten.
Die angeblich würzigere Variante des "Chicken Kiew", leider nicht sehr ... - Restaurant Feuervogel - WienDer Beilagensalat, eh lieb, aber etwas einfallslos - Restaurant Feuervogel - WienAmbiente am Tisch, bitte weg mit den künstlichen Blumengestecken! - Restaurant Feuervogel - Wien
Hilfreich16Gefällt mir13Kommentieren
2 Kommentare

Danke :)

5. Nov 2020, 11:16·Gefällt mir

Schön, dass es den Feuervogel noch gibt. Mein letzter Besuch ist schon über 10 Jahre her. Mein erster Besuch war mitte der 90er und davor hatte mir mein Vater davon erzählt der es seit den 60ern kannte und es damals schon eine Institution war. Es gab da noch das Wladimir in der Bürgerspitalgasse, dass aber leider zugesperrt hat, wo ich auch 2x war.

9. Okt 2020, 17:07·Gefällt mir1
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