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Mi, 24. April 2024

aend - Bewertung

MichaelA2
Experte
am 3. März 2019
SpeisenAmbienteService
„Aufsteiger des Jahres“ – nur eine der vielen Auszeichnungen die das aend in der Mollardgasse im sechsten Bezirk eingeheimst hat. Ein Eck, das ich persönlich sehr gut kenne, da ich jahrelang de facto vis-a-vis gewohnt hatte und damals das jetzige aend als eine wilde und recht heruntergekommene Mischung aus Western Saloon und Bruchbude wahrgenommen habe, das aber soweit ich mich erinnern kann, niemals geöffnet war. Umso gespannter waren wir natürlich, was aus diesem eher häßlichen Ecklokal in einer dunklen und recht ausgestorbenen Ecke des sechsten Bezirkes entstanden ist.

Nachdem wir schon zum Valentinstag einen Tisch hatten, diesen aber krankheitsbedingt dann leider canceln mussten, freuten wir umso mehr, zwei Wochen später einen Tisch zu ergattern.

Schon von außen stellten wir fest, dass das Ecklokal recht schön hergerichtet war. Beim Betreten dann aber erstmal das große „Oho“: Das Restaurant war mit dunkelgrauer bis schwarzer Farbe gestrichen, dazu schöne Holztische und Sesseln sowie die heute fast schon obligatorischen Glühbirnen als Lampen. An der Decke noch ein wunderschönes Ziegelgewölbe zu sehen, schöner erster Eindruck, das dunkle grau harmonierte wunderbar mit den Holztischen, auch wenn diese - wie wir beim Platznehmen feststellen sollten – extrem niedrig waren. Wir sind beide nicht die Kleinsten, mussten uns schon recht stark nach unten beugen, ebenso war für unsere Füße extrem wenig Platz. Ein interessantes Konzept war, dass das Besteck in einer kleinen Lade im Tisch verstaut war, man konnte sich einfach nehmen, was man für jeden Gang brauchte. Spannend, ich bevorzuge trotzdem das Eindecken nach jedem Gang durch das Personal.

Ebenfalls ein Eye-Catcher: Die offene Küche, wo der Küchenchef Fabian Günzel persönlich den ganzen Abend weniger gekocht als angerichtet hat, trotzdem beeindruckend zu sehen, wie dieser mitten in seiner Küchenmannschaft immer und immer wieder die gleichen Gerichte mit viel Sorgfalt angerichtet hat.

Die Begrüßung war dann sehr freundlich, was sofort auffällt ist, dass das Personal durchwegs jung ist, das ist aber jetzt auch nicht unsympathisch. Nachdem uns die Mäntel abgenommen wurden, wurden wir zu unserem Tisch geführt, ein schöner Ecktisch. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Tische ausreichend auseinander stehen und daher genug Privatsphäre gegeben ist. In einem schwarzen Kuvert (schwarz bzw. ganz dunkles grau zieht sich durch das Lokal, selbst das WC Papier ist schwarz…) war dann zusammengefaltet das Menü: Die einzelnen Gänge waren als jeweils ein Paar von Zutaten angeschrieben, davon gab es am Menü 14 Gänge, wobei beim kleinen Menü drei fixe Gänge gestrichen werden. So, das kling jetzt erstmal nach wahnsinnig viel, man muss aber dazu sagen, dass die ersten 3 Gänge eigentlich diE Grüße aus der Küche waren und der letzte Gang sowas wie die süße Verabschiedung. Das heißt bei regulärer Schreibweise hätten wir 10 Gänge beim großen bzw. 7 Gänge beim kleinen Menü. Wir entschieden uns für das kleine Menü inkl. Weinbegleitung, dazu wurde löblicherweise auch Leitungswasser angeboten und das kostenfrei – haben wir schon anders erlebt.

Und los gings:

Sardine & Jalapeno
Auf einem kleinen keksartigen Streifen war ein Sardinenfilet, dazu Jalapeno-Mayonnaise und fein geschnittene Jalapenos. Ein eher mäßiger Start, das Keks war mir etwas zu dick und damit das ganze Gericht etwas teigig, die Jalapeno hätte durchaus mehr Pepp haben dürfen, alles in Allem habe ich mir hier definitiv mehr erwartet.

Zwiebel & Maroni
Wieder ein kleines Keks, diesmal als Schale, gefüllt mit in Rotwein marinierten roten Zwiebeln, abgedeckt mit einer Maroni Mousse. Obwohl auch hier die Schale dominant war, ein tolles Gericht: fein abgestimmte Rotzweinzwiebeln, das Maronimousse schön dezent aber trotzdem gut heraus zu schmecken. Man steigerte sich!

Kalb & Dashi
Fein aufgeschnittenes Kalb, zubereitet in einer traditionellen japanischen Methode, bei der dieses nur kurz in heißer Suppe gart. Das Ganze angerichtet in einer Schale mit unfassbar gut abgestimmter Dashi – unglaublich intensiv vom Geschmack und so richtig „umami“. Dazu noch eine schön dicke und offenbar selbst gemachte Udon Nudel und ein paar asiatische Schwammerl. Dazu wurden Stäbchen gereicht, die Dashi haben wir dann genussvoll ausgeschlürft. Ein erstes echtes Highlight!

Thunfisch & Artischoke
Ein Scheibe halbroher Thunfisch, einfach kurz angebraten, dazu ein Stück Artischoke. Ganz sicher nicht schlecht, aber schon etwas „abgestunken“ gegenüber dem vorigen Gang. Der Fisch war bei mir auch etwas sehr fasrig und die Kombination an sich fand ich jetzt auch nicht super spannend. Gut - aber eben kein Highlight.

Rochen & Tamarillo
Wow, Rochen also, hatte ich noch nie. Da sind wir vor ein paar Monaten noch mit Stachelrochen geschwommen und jetzt liegt er hier am Tisch. Laut Service wird tatsächlich einmal in der Woche ein Flügel eines Stachelrochen geliefert und dieser dann verarbeitet. Ich dachte ja, dass es ein sehr festes Fleisch sein wird, da der Flügel in meiner Vorstellung purer Muskel ist. War dann aber nicht so, eher ein sehr zartes Fleisch, optisch ein bisschen wie kleine Rollen nebeneinander. Dazu gab es eine recht currylastige Sauce mit – und das war dann eigentlich fast das eigentliche Highlight - gebratener Tamarillo gefüllt mit Senfkörnern. Tamarillo an sich war mir ein Begriff, nur diese zu verkosten hatten wir bisher noch keine Gelegenheit und ich muss sagen, wir waren begeistert: Der Paradeisergeschmack schon noch schön zu spüren, gleichzeitig aber auch extrem fruchtig (ein Hauch von Marille? Ein Hauch von Melone? Schwer zu sagen). Auf jeden Fall ein sehr spannender Gang.

Hummer & Schwein
… kam als eine hauchdünne Scheibe Schweinebauch daher, darauf zwei Stück Hummer sowie ein Püree vom Kürbis sowie ein paar Scheiben eingelegter Kürbis. Der Hummer hätte ruhig eine Spur zarter sein dürfen und die Kombination Hummer mit Schweinebauch hat für mich persönlich jetzt irgendwie nicht so recht harmoniert. Kein schlechter Gang, hätte ich mir vielleicht aber doch etwas mehr erwartet.

Kohl & Soja
Wow, kann ich nur sagen: eingelegter Kohl, in einem unglaublich aromatischen Sud aus Soja, dazu ein paar rote Pfefferkörner, die Geschmacksexplosion schlechthin. Darauf ein getrocknetes Blatt von fermentiertem Kohl. Die Dinge, die auf der Karte am wenigsten spannend klingen, sind dann halt oft die wahren Highlights…

Rind & Mole
Ein Stück Beiried, sehr schön rosa gebraten, gebettet auf einem Mole-Spiegel. Ein tolles Gericht, schade dass aus meiner Sicht der letzte Feinschliff etwas gefehlt hat: Das Fleisch hätte eine winzig kleine Prise grobes Salz darüber vertragen, die Mole die man aus der mexikanischen Küche kennt, hat ein klein wenig Pepp vermisst.

Traube & Parmesan
Jetzt wieder ein großartiger Gang: Am Boden der Schüssel halb getrocknete weiße Trauben, noch keine Rosinen, aber ein bißchen am Weg dazu, wunderschön aromatisch und süß. Darauf ein Klacks Vanilleeis, bedeckt mit geriebenem Parmesan, dekoriert mit zwei knusprigen Parmesan Chips. Wirklich ausgesprochen gut!

Schokolade & Apfel
Für mich kam jetzt einer der besten Gänge des Abends: in einer kleinen Schüssel Basilikum-Sorbet, darunter gemischt kleine Schokokügelchen, sowie einer Walnusscreme und ein paar Stücken Walnuss dazu. Das Ganze garniert mit einem Schaum von Granny Smith Apfel. Die einzelnen Komponenten waren vielleicht gar nicht so aufregend, hat man aber alles schön vermischt, war es einfach nur ein Traum. Grandios!

Jasmin & Marille
Die Verabschiedung durch die Küche: ein luftiger Schaum, gefüllt in eine Eierschale, dazu zwei selbstgemachte Fruchtgummiwürfel: Brombeere und Marille. Jasmin konnten wir im Schaum leider gar nicht ausmachen, vielmehr war dieser eher sehr Eigelb-lastig, die Fruchtgummiwürfel nicht uninteressant, auch wenn die Masse teils sehr harte Stücke darin hatte, Brombeere sehr schön frisch und etwas Säure, Marille etwas weniger spannend.

Verpasst haben wir übrigens: Kabeljau & Knollen-Ziest, La Ratte & Miso sowie Paprika & Himbeere.

Die Weinbegleitung war durchwegs passend und auch mehr als ausreichend, beim kleinen Menü waren doch 6-7 Gläser Wein – und ja: Hier werden noch echte Achteln ausgeschenkt, nicht nur ein kleiner Schluck. So richtig umgehauen hat uns dann von den Weinen trotzdem keiner, in Erinnerung geblieben ist uns nur ein roter gemischter Satz aus Portugal, wobei dabei Trauben aus dem Duorotal und Trauben aus dem Dao-Gebiet genutzt werden. Leider kann ich mich beim besten Willen nicht mehr ans Weingut erinnern, kann dazu auch online nichts finden.

Ein paar Worte noch zum Personal: Wie bereits gesagt, war das Personal eher jünger, die Beratung und Betreuung war stets sehr freundlich und zuvorkommend, man hat sich auch immer viel Zeit genommen unser Fragen zu beantworten und war offenbar auch auf jeden Gang gut geschult. Etwas gewöhnungsbedürftig war, dass das Personal sich meist neben den Tisch gehockerlt hat. Eigentlich nicht unangenehm, weil man irgendwo auf Augenhöhe war, trotzdem gewöhnungsbedürftig. Wenn es etwas zu bemängeln gäbe, dass vorab nicht nach Unverträglichkeiten und Dingen, die man nicht mag, gefragt wurde, war für uns aber nicht weiter tragisch.

Zum Abschied wurden wir dann noch sehr herzlich von Fabian Günzel verabschiedet – eine Geste die wir bei den „großen“ Köchen sehr zu schätzen wissen, allzu oft wird vergessen, dass der Koch eigentlich der Gastgeber und wir Gäste eben die Gäste sind.

Achja, bezahlt musste ja auch noch werden: Zwei Aperitiv, zweimal das kleine Menü mit Weinbegleitung, Schnaps und Rum sowie 2 Kaffee um € 360 sind meiner Meinung nach auch ein mehr als anständiger Preis für das Gebotene!

Wir haben den Besuch in jedem Fall genossen und können das aend in seiner jetzigen Form nur uneingeschränkt empfehlen!
aend - Wien
Hilfreich10Gefällt mir9Kommentieren
1 Kommentar

Wow! Danke für diese wirklich sehr interessante Beschreibung!

3. Mär 2019, 22:06·Gefällt mir1
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