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Fr, 29. März 2024

Lechner - Bewertung

adn1966
Experte
am 2. August 2018
SpeisenAmbienteService
„Hot town, summer in the city ...“

Heute entsprach der Text dieses Hits von „The Lovin’ Spoonful“, ich teile übrigens mit dem Lied das Geburtsjahr, voll und ganz der Wirklichkeit. Bei der Hitze wollte ich partout nichts kochen, die Liebste weilt noch bis morgen im Ausland, also entschied ich mich für die Nahrungsaufnahme in meinem neuen Grätz’l, dem Alsergrund.

Einige Lokale in meiner Nähe habe ich ja schon erkundet, heute stand mir der Sinn nach einem Gasthaus, und mir war schon vor einiger Zeit das „Lechner“ ins Auge gestochen, gerade einmal um die Ecke von uns. Also nichts wie hin.

Im Schanigarten an der Willhelm-Exner war noch ein Tisch frei, klassische Holztische- und Sessel, wie man sie von urigen Wiener Wirtshäusern kennt. Drinnen gibt es Raucher- und Nichtraucher, das Ambiente, das ich von außen sehen konnte, entsprach ebenfalls einem klassischen Wiener Wirtshaus.

Bedienung kam erst einmal keine, sie wurde auf mich aufmerksam, als ich mir nach etwas Wartezeit eine Speisekarte und einen Aschenbecher von drinnen holte. Dafür war sie den Rest des Abends sehr nett, was den Lapsus mehr als ausbügelte.

Nun, Sommer hin oder her, im Wirtshaus will das Cordon Bleu probiert werden. Die Karte, in Form einer laminierten A4 Seite, bietet nicht überbordend viel, die Klassiker der Wiener Küche sind vertreten. Cordon mit gemischtem Salat, ein weißer Spritzer dazu, das soll’s heute für mich sein.

Der Spritzer kam rasch und auch mein Cordon ließ nicht lange auf sich warten. Die Wartezeit überbrückte ich mit dem Studium der Karte. Klein ist ja an sich gut, wer braucht 10 oder mehr Seiten? Dieser spartanischen A4-Laminatvariante kann ich allerdings nicht wirklich etwas abgewinnen. Mag jetzt kleinlich klingen, aber ich bevorzuge schon die Haptik einer echten, gebundenen Karte, auch wenn nur wenige Gerichte darin aufgelistet sind, die dafür aber nett beschrieben. Laminat mag ja praktisch sein, abwaschbar, regenfest, und so weiter, irgendwie hat es halt etwas von einem Schnellimbiss.

Zum Schmunzeln brachten mich die Allergene-Codes. Ohne Legende waren halt neben jedem Gericht Buchstaben aufgeführt, - ich weiß nun zum Beispiel, dass ich, sollte ich allergisch sein, durch „ ACGOMR“ möglicherweise einen anaphylaktischen Schock erleiden könnte, welche Allergene sich hinter diesen Buchstaben verbergen, wird nicht erklärt. Dafür findet sich der Satz „Allergeninformation gemäß Codeempfehlung“ am unteren Rand der Karte, ein Satz, der mich durchaus ratlos zurücklässt. Aber gut, nachdem ich gefühlte 1000 Cordons in den letzten 52 Jahren überlebt habe, hält sich meine Panik in Grenzen.

Außerdem bin ich, erklärter Freund der Aufklärung und political correctness in allen Ehren, kein Freund dieser Buchstabensuppe, die für alle Speisekarten verordnet wurde. Wie haben Allergiker die letzten Jahrhunderte Gastronomie überlebt, bevor es diese sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben gab?

Zumal das Ganze mit dem Satz „Trotz sorgfältiger Herstellung unserer Gericht (sic!) können neben den gekennzeichneten Zutaten Spuren anderer Stoffe enthalten sein, die im Produktionsprozess in der Küche verwendet werden“ außer Kraft gesetzt wird. Was immer genau mit den Stoffen des Produktionsprozesses gemeint sein mag, man weiß es nicht so genau.

Nun gut, genug der Philosophie über Allergene, Auftritt meines Cordon Bleus.

Ein stattliches Schnitzel, schön goldbraun paniert, eine dicke Zitronenscheibe darauf, und ein Teller mit gemischtem Salat, werden gebracht.

Das Positive zuerst. Genau so soll ein Cordon sein. Guter, qualitativ hochwertiger, würziger Schinken, guter Käse, das Ganze nicht zu dick, die Panier knusprig, das Fleisch, wenn auch Schwein, zart. Tadellos. Chapeau.

Der Salat kann leider nicht punkten. Lieblos, ein paar Blätter grüner Salat, ein paar Gurkenscheiben, etwas Kraut und ein Erdäpfelsalat. Letzterer meines Erachtens ein Convenience-Produkt aus dem Glas. Mon dieu. Ist es Faulheit, Unvermögen, einen echten Erdäpfelsalat zu machen? Seriously, der Kostendruck kann es nicht sein, schließlich verdient die Firma, die sich mit dem lateinischen Namen „der Glückliche“ schmückt, ja auch daran. Wie schwer ist es, ein paar gute Weinviertler Erdäpfel zu besorgen und daraus einen Salat zu machen, der einem echten Wiener Gasthaus gerecht wird?

Und warum kommen nur so wenige Wirten (ein Beispiel wäre Hubers Essen und Trinken im Dritten) auf die Idee, dass Salat nicht immer das gleiche, einfallslose Einerlei sein muss? Ein paar frische Produkte, eine simple Vinaigrette oder Marinade (in ein paar Minuten gemacht) und das Ergebnis ist um so vieles besser?

Zur Laminatkarte und der Salatniederlage kommt noch die – ebenso einfallslose – Menage, die mit dem Essen eingestellt wird. Neben dem üblichen Salz- und Pfefferstreuer findet sich natürlich das Fläschchen mit dunkelbrauner Würze.

Ich versteh’s einfach nicht. Ich würde nie im Leben auf die Idee kommen, meinen Gästen, wenn ich ein Restaurant hätte, taxfrei zum Essen gleich eine Flasche mit Geschmacksverstärker zu servieren. Was, bitte, will ich den Gästen damit sagen? „Für alle Fälle, weil meine Suppen sind leider geschmacklos?“

War halt immer so, wird immer so bleiben, keiner denkt drüber nach.

Das Essen und zwei Spritzer schlugen sich mit 18 € (inklusive Trinkgeld) zu Buche, eh ok. Für das gute Cordon sogar sehr günstig. Dafür gibt’s Abzüge für den Salat. Die Spritzer waren gut, einer wurde gleich gar nicht verrechnet, was ich natürlich korrigierte. Antwort der Kellnerin/Wirtin: „Der Computer leidet auch unter der Hitze“. Ah ja.

In Summe war das Abendessen ganz ok, ein Wirtshaus halt, mit allen Ecken und Kanten, die man in einem alten, originalen Wirtshaus erwartet. Der Service gut, charmant und mit „Schmäh“, das Essen gut und günstig.

Irgendwie tut’s mir halt weh, wenn die Wirtsleut’ aus so einem Wiener Original, noch dazu in einer sehr guten Lage, dann doch nicht mehr machen, Stichwort Karte, Stichwort Salat, Stichwort Würze aus dem Flascherl. Nichts modernes, Gott behüte, das meine ich nicht.

Wirtshaus ist gut, aber Wirtshaus muss nicht bedeuten, einfalls- und lieblos zu kochen.
So richtig Wirtshaus - Lechner - WienAmbiente außen - Lechner - WienDie Laminatspeisekarte - Lechner - Wien
Hilfreich12Gefällt mir11Kommentieren
8 Kommentare

M12: Das deckt sich auch ein wenig mit meinen Erfahrungen!

15. Sep 2022, 15:28·Gefällt mir

Ich glaub es wird mir zu inflationär verwendet und die meisten Lokale die das Wort Schmankerl verwenden hab ich in eher schlechter Erinnerung.

15. Sep 2022, 15:14·Gefällt mir

WrKFan: Ich vermute die Zugabe von Salz und Maggi begründe sich vielleicht auch auf die Tatsache, dass nach dem Krieg Fleisch, Fleischknochen,… teuer und rar waren und die Suppen zu dieser Zeit geschmacklich recht dünn waren.

15. Sep 2022, 15:01·Gefällt mir

M12: Warum?

15. Sep 2022, 14:56·Gefällt mir

Irgendwie habe ich eine Abneigung gegen das Wort Schmankerl entwickelt. hmmm

15. Sep 2022, 05:51·Gefällt mir

Übrigens war es mein Vater auch noch so gewohnt. Ehe er auch nur einen Löffel nahm, gab es den Griff zum Maggi und zum Salz. Hat weniger mit Vertrauen zu tun als mehr mit der Gewohnheit wie er erzogen worden ist.

14. Sep 2022, 17:50·Gefällt mir1

Aber es gab mal das beste Gulasch hier - Danke für den Tipp - möglicherweise bin ich für diese Art WH besser geeicht als du, ich sage möglicherweise (!) Man möge nur nicht vorschnell interpretieren. Kurz mal (m)ein HGL dafür abgeliefert. 👍

14. Sep 2022, 17:45·Gefällt mir1

Maggi naja. Irgendwie ein Relikt aus meiner früheren Kindheit. Manchmal musste ich zum Greissler gehen und das Flascherl nachfüllen lassen. Das war früher so üblich. Dabei hat meine Mutter immer die Suppen selbst gemacht. Wochentags die Suppenknochen um 2 Schilling, und am Wochenende die Fleischknochen um 3 Schilling. Vielleicht lag es an meinem Vater. Er war einer der immer salzte bevor er kostete. So viel von einer Dinosaurierin zur damaligen Zeit.

3. Aug 2018, 01:24·Gefällt mir3
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