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Do, 25. April 2024

El Gaucho, Wien - Bewertung

Gastronaut
Experte
am 14. November 2017
SpeisenAmbienteService
Wer will schon eine Speisekarte, wenn er gleich vier haben kann! Nachdem das neue El Gaucho am Rochusmarkt in ein ebenfalls neues Einkaufszentrum integriert ist, wurden auch die Öffnungszeiten dementsprechend angepasst. Es soll ja kein potentieller Gast des Hauses vor verschlossenen Türen stehen. Denn nun offeriert das Gastro-Imperium rund um die steirische Grossauer-Dynastie auch erstmals Frühstück. Wer unbedingt möchte, kann hier natürlich auch Gebäck mit Marmelade bekommen, aber das gibt es ja anderswo auch – ganz im Gegensatz zu einigen Stars der neuen Frühstückkarte wie Beef Tartar auf Toast, pochierte Eier auf Avocado-Roggentoast, Pancakes mit Ahornsirup und Chocolate Chips oder einem Frühstücks-Burger mit Ei, Speck und Käse. Wäre ich ein Frühstücker, so würde ich wohl hier einziehen. Aber es bleiben ja noch drei Karten …

Die Restaurant-Karte im neuen El Gaucho ist die gleiche wie in den anderen Lokalen der Gruppe, und diese ist im Prinzip für den oberen Bereich, den Restaurant-Teil gedacht. Diese Karte umfasst alle „herkömmlichen“ Steaks, die Specials wie z.B. die legendären Steinpilzravioli, einen Burger und sämtliche Beilagen. Zum Start hatten wir von dieser Karte zweimal Tartar, eines vom Rind und eines von Thunfisch. Das Rinder-Tartar kam klassisch mit groben Karpernstücken und einer feinen Senfnote daher. Um den Eigengeschmack des Fleisches nicht zu erschlagen war das Tartar eher mild gewürzt. Zu sagen, dass es viel zu mild gewürzt war, wäre gemein. Aber es war mir persönlich zu wenig. Dafür war die fischige Variante mit dem irreführenden Namen „Thunfisch aus der Dose“ ein Traum aus Thunfisch in Sashimi-Qualität und einem Avocado-Mousse. Die Balance zwischen Süße und Säure war betörend und das Gesamtwerk herrlich abgeschmeckt. Die dazu gereichten Hummerchips sollten dem Ganzen noch zusätzlichen Biss verleihen, waren in Wirklichkeit aber nur Statisten. So kennt man das El Gaucho und so ist es auch gut! Bleiben zwei Karten.

Vollkommen neu ist die Bar-Karte, die für den unteren Bereich des Lokals gedacht ist. Hier stehen hauptsächlich Hochtische, die den Unterscheid zwischen dem „Fine Dining“ im oberen Stock und dem „Casual Dining“ im Erdgeschoss noch einmal unterstreichen. Dass man an jedem Ort des Lokals trotzdem alle Speisen bestellen kann, wird zwar nicht groß kommuniziert, ist aber so. Die Bar-Karte enthält Dinge, die ich sofort essen wollen würde: Allerlei Spieße und Pinchos mit Rindfleisch, Garnelen, Schwein oder Huhn, mehrere Burger, einige Suppen, Salate und noch viel mehr. Die Grundprodukte sind die gleichen, aber die Auswahl geht viel mehr in die Tiefe. Bleibt eine Karte …

Das absolute Highlight ist aber die Karte mit den sogenannten „Signature Cuts“, also jenen Schnitten, die ein guter Fleischhauer beim Zerteilen des Rindes so bewerkstelligt, dass dadurch ganz neue Steak-Arten entstehen, die sich in Textur, Marmorierung und Zubereitungsmöglichkeiten vollkommen von ihren „Artgenossen“ unterscheiden. Unser erster Schnitt war ein „Brasilianer“. Beim Churrasco Hüftsteak wurde ein dünner Lappen gegen die Fleischfaser geschnitten. Wer bisher eher skeptisch war, was Hüftsteak betrifft und diesen Fleischteil als unerträgliche Diva betrachtet hat, dem könnte sich hier eine neue Welt erschließen. Denn Hüfte hat ja die Tendenz sehr leicht zu einem schuhlederzähen Etwas zu werden, wenn bei den Komponenten Fleischqualität (= Rasse & Futter & Aufzucht), Lagerung, Reifezeit, Würzung, Zubereitung & Rastzeit auch nur ein einziger kleiner Mangel auftritt. Einem Filet ist das wurscht, das verzeiht (fast) alles. Deswegen ist es auch so teuer. Aber bei einer Hüfte geht schnell etwas schief. Bei dieser Churrasco Hüfte trat aber der wunderbare Fall ein, dass nicht nur sämtliche genannten Kriterien erfüllt wurden, sondern dass der Schnitt zusätzlich dafür sorgen konnte, dass nichts auch nur ansatzweise zäh werden konnte. Das Resultat war ein Stück Steak, dass so butterweich wie ein saftiges Rumpsteak oder ein fast rohes Filet war, aber gleichzeitig so herrlich mürbe wie man es sich nur erträumen kann. Die Garstufe war ein halber Millimeter unterhalb von medium und das Rosa des dünnen Fleisches einfach nur betörend. Wahrscheinlich hätte es die Knoblauch-Petersil-Mischung als Krönung gar nicht gebraucht, aber nachdem sie schon oben drauf war, hat sie sich dann perfekt ins Bild eingefügt.

Der zweite Signature Cut war ein längliches Ribeye der Schnittrichtung „Tira de Ancho“. Dieses wunderbar durchzogene Steak war bereits medium rare herrlich saftig, also bei einer Garstufe, bei der sonst noch nicht alles Fett schmelzen konnte. Das Fleisch hatte zwar eine Spur mehr Biss als die Hüfte, aber der Geschmack war atemberaubend intensiv. Auch bei diesem Cut gilt, dass so ein Schnitt locker zwei Menschen satt machen kann, was die leicht gehobeneren Preise der Signature Cuts gleich wieder relativiert. Diese Schnitte gibt es übrigens in allen El Gauchos, man muss nur danach fragen …

Und nun noch zu den Beilagen: Es gibt Restaurants, bei denen die Beilagen einfach nur relativ belanglose Begleiter zu sonst großartigen Gerichten sind. Vor allem bei echten „Fleisch-Lokalen“ ist das so. Wenn sich dann ein Vegetarier in ein solches hineinverirrt und gerne eine vegetarische Speise hätte, bekommt er oftmals nur eine lieblose Ansammlung der Beilagen als Hauptspeise. In einem der Plachutta-Lokale durfte ich einst mit eigenen Augen beobachten, wie einer entsetzten Vegetarierin ein Teller mit Dill-Fisolen, Rösti und Spinat als „Gemüseteller“ vorgesetzt wurde. Im El Gaucho ist man zwar auch nicht gerade auf die Fleisch-Verweigerer spezialisiert, bietet aber – siehe Steinpilz-Ravioli – echte Alternativen. Und, um auf den Punkt zu kommen, man offeriert hier so durchdacht großartige Beilagen, dass sogar die „Beilagen-Hauptspeise“ funktionieren würde: Die Trüffel-Gnocchi sind köstlich, der Wok mit Erbsenschoten, Sojasprossen, Pak Choi und Pilzen war ein Gedicht, die gefüllten Humitas-Maistaschen sehr gut, und die beiden Chimichurris (mild oder scharf) sind sowieso legendär. Die beste Beilage mit Fleisch waren übrigens geröstete Kohlsprossen mit Speck und Kapern. Also ich kann hier ohne Übertreibung sagen, dass die Beilagen die Steaks wirklich matchen!

Nach dem Essen dürfte zwar rein rechnerisch kein Platz für irgendetwas anderes mehr sein, trotzdem konnten wir uns überzeugen, dass hier wirklich alles was mit Schokolade oder Käse zu tun hat, einen besonders würdigen Abschluss bietet.
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