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Do, 28. März 2024

Paolo - Bewertung

adn1966
Experte
am 16. September 2016
SpeisenAmbienteService
Das Paolo im Dritten, am Paulusplatz, ist ein echtes Urgestein, ein lange etablierter Fixstern am schwierigen Lokalhimmel im Dreieck Landstraßer Haupt, Petrusgasse Schlachthausgasse. Seit 1985 gibt es das Lokal, eine gastronomische Ewigkeit für diese Gegend, in der es viele Lokale versucht, aber nur wenige durchgehalten haben.

Meine Landstraßer Hauptstraße, in der ich seit mehr als 20 Jahren wohne, ist ja ein bisschen schwierig.

An ihrer Wurzel, nahe dem Zentrum, wo man mittlerweile, ganz neudeutsch „The Mall“ en lieu der altehrwürdigen Markthalle hingestellt hat, funktioniert sie prächtig. Da gibt’s den Stadtwirt, mein kulinarisches Vorzimmer, da ist was los. In der Mitte, beim von mir sehr geschätzten Rochusmarkt, brummt’s auch noch, dort trifft man sich im Rochus oder dem Sternzeichen, wenn’s chinesisch sein soll. Weiter gen Osten findet man noch das Al Sarago, gutes Eis im Bortolotti, ein Stück weiter gibt’s noch das Landstein für die vinophilen Feinspitze, dann aber, nach der Uhr an der Kreuzung mit der Apostelgasse, wird’s ganz schnell ganz dünn.

Viele, so viele haben versucht, hier Fuß zu fassen, fast genauso viele haben irgendwann das Handtuch geworfen. Umso erstaunlicher, dass das Paolo, noch dazu etwas versteckt hinter der Landstraßer Haupt gelegen, überlebt hat. Nein, nicht nur überlebt hat, sich bester Gesundheit erfreut. Voll ist. Auch unter der Woche. Am Wochenende sowieso.

Der Garten ist schon was Besonderes. Man hört Grillen zirpen, sitzt in einem wirklich schönen, gemütlichen Garten, mitten im (na gut, am äußeren Ende des) Dritten. Der Name spiegelt nur das Programm wider. Die Küche ist italienisch ausgerichtet, der Focus liegt eindeutig auf gutem Fisch und seine Freunde, Krustentiere, Muscheln und Fischsuppe. Der Besitzer kommt von der dalmatinischen Küste, aber auch Personal und Stammgäste dürften vorwiegend aus Kroatien sein.

Ich war zum ersten Mal 1994 im Paolo, seither war ich alle paar Jahre immer wieder einmal dort, und ich war immer zufrieden. Nun besuchten wir das Paolo zweimal in den drei vergangenen Tagen und ich hätte schwören können, das Paolo schon einmal bewertet zu haben. Hab’ ich offenbar nicht, daher jetzt mein Erfahrungsbericht:

Wie gesagt, ein schöner, ruhiger Garten, gut besucht. Weiß eingedeckt, Menage mit Salz, Pfeffer, Balsamico und dalmatinischem Olivenöl und, was man leider nur mehr selten sieht, Silberbesteck. Der Service herzlich, freundlich, familiär, aber fachlich gut und korrekt. Und nicht unterbesetzt. Die Prozesse laufen gut eingespielt ab, die Dame des Hauses (glaub ich) nimmt die Bestellung auf, der Chef ist omnipräsent, immer wieder nachfragend, ob alles passt, am Schluss einen Grappa aufs Haus kredenzend.

Dazwischen kommen andere Kellner vorbei, die aufmerksam nachschenken, den Fisch servieren, anrichten, abservieren, alles „by the book“, alles höchst professionell.

Meine Reservierung wurde per Email gemacht und freundlich bestätigt, obwohl das online-Reservierungstool auf der HP eigentlich gemeint hatte, es gäbe heute keinen freienTisch mehr. Das Lokal war bei unserer Ankunft tatsächlich beinahe voll, unser Tisch war einer der letzten, die frei waren.

Die Karte bietet Antipasti, Primi, Secondi, Carne, Insalate, Dolci und, zweifelsfrei die Kernkompetenz des Paolo, Pesce. Vor Jahren gab’s auch Pizze, die waren gut gemeint, aber nicht die Erfüllung. Die Entscheidung, sie von der Karte zu nehmen, war richtig.

Wir waren heute zu fünft und eröffneten mit einem herrlichen „Grasevino“ vom Krauthaker, den ich vorher nicht kannte. Ein gutes Tröpfchen, in der Nase ein Chardonnay, im Geschmack durchaus einem guten Grünen Veltliner ebenbürtig. Dazu Mineral, sowie Cola für die Kids unserer Freundin.

Vorspeisen: zweimal Oktopussalat (sehr gut, sehr zart, sehr groß), Salat mit Steinpilzen (sehr gut), Lachstartar (hervorragend) und Fischsuppe (tadellos). Alle Vorspeisen sind sehr großzügig portioniert, um nicht zu sagen, zu großzügig. Mein Lachstartar war ausgezeichnet, kein klein geschnetzelter Lachs, nein, relativ grob geschnitten, herrlich abgeschmeckt, auf einem Bett hauchdünn geschnittener Gurken, exzellent.

Die Hauptgänge: Branzino im Ganzen aus dem Ofen mit Ofengemüse, Lammrippchen für die Kids. Das Lamm tadellos, auf Wunsch der Kids durchgebraten, was für meinen Geschmack einer Vergewaltigung des offenbar qualitativ hochwertigen Lammfleisches gleichkam. Trotz „well done“ aber immer noch spürbar zart. In rosa müssen diese Dinger der Hammer sein.

Auftritt Wolfsbarsch, Loup de mer, Branzino.

Da ist sie, Paolos Kernkompetenz. Ein tadelloser Fisch wurde gebracht und am Tisch fachmännisch angerichtet. Saftig, g’schmackig, mit gutem Gemüse, der richtigen Menge Knoblauch und Zitrone. Nichts hat diesen guten Fisch erschlagen, er wurde nicht zu Tode gegart, nein, den Branzino gibt’s auch beim Umar oder im Kornat nicht besser.

Natürlich bestellte ich meinen obligatorischen Espresso, der hier von der Academia del Caffè, einer benachbarten Kaffeerösterei, stammt. Selten so einen guten Espresso getrunken, wie in Italien, kräftig, perfekter Geschmack, perfekte Crema.

Den Abschluss bildete eine Runde aufs Haus, vom netten Chef für uns geordert. Grappa für mich, Limoncello für die Liebste und unsere Freundin D.

Man gibt’s nicht billig im Paolo, aber guter Fisch, guter Wein und gutes Lammfleisch haben eben ihren Preis. Vor zwei Tagen löhnten die Liebste und ich rund 100 €, heute waren’s zu fünft etwa € 230. Man ist also pro Nase mit € 30,- bis € 50,- dabei, wenn man Vorspeise, Hauptspeise, Wein und Caffè bestellt, bekommt allerdings dafür einen netten, gemütlichen Abend, wirklich erstklassigen Service, qualitativ hochwertige Produkte, handwerklich einwandfrei verarbeitet, und, vor allem, tadellose Speisen. All das genießt man in einem der schönsten und ruhigsten Gärten im Dritten, ergo: der Preis passt.

Schön, das Paolo nach vielen Jahren wiederentdeckt zu haben, wir werden es nun wieder öfter besuchen. Es macht einfach Freude zu sehen, wenn ein Gastronom verstanden hat, dass er, wenn er eine konstante, hohe Qualität über Jahre hält, auch in einer vergleichsweise schwierigen Location lange und nachhaltig erfolgreich sein kann.

Paolo und sein Team machen eigentlich alles richtig, die Pflicht (Service, Ambiente, Speisen), die Kür (Silberbesteck, die perfekte Qualität der Speisen), aber auch die sekundären Details (eine tadellos saubere Toilette mit Stoffhandtüchern).

Aber wen wundert’s?

Hier ist ein Chef am Werk, der weiß, wie wichtig es ist, trotz jahrelangem Erfolg immer noch jeden Tag an der Front, direkt am Gast, präsent zu sein. Und nicht nur mit netten Kleinigkeiten wie einem Grappa zum Abschluss, sondern auch mit einem wachsamen Auge, ob alles auch so ist, wie es sein soll.
... nach dem professionellen Anrichten - Paolo - WienBranzino "al forno" - Paolo - WienPaolo - Paolo - Wien
Hilfreich16Gefällt mir14Kommentieren
2 Kommentare

sehr schön, Paolo ist wirklich seit Jahrzehnten immer einen Besuch Wert.......allerdings ist man hier eindeutig im Herzen des dritten Bezirks, das wird jeder eingfleischte Erdberger eindeutig bestätigen ;)

16. Sep 2016, 14:07·Gefällt mir2

Schön zu lesen, besonders weil dem Paolo anscheinend (nicht "scheinbar") alles Gute zu wünschen ist.

16. Sep 2016, 01:14·Gefällt mir2
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