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Fr, 29. März 2024

Beograd - Bewertung

adn1966
Experte
am 5. September 2016
SpeisenAmbienteService
„If I could turn back time“ – diesen Wunsch, den Cher 1989 als Titel für einen ihrer Hits gewählt hat, konnte ich mir gestern bei einem Besuch im Beograd erfüllen. Lang, lang ist’s her, seit ich das letzte Mal dieses Restaurant besucht habe, vor etwa 30 Jahren wird das gewesen sein, Mitte der Achtziger, der Miami Vice- und Schulterpolster-Dekade. Entsetzlich. What were we thinking?

Vor Kurzem fiel mir dieses Restaurant wieder ein und nach Lektüre der durchwegs positiven Bewertungen auf ReTe beschloss ich, die Liebste, sowie unsere serbischen Freundinnen D. und D. samt deren Kinder dorthin einzuladen.

Das Beograd darf sich wirklich mit Fug und Recht als alteingesessenes Restaurant bezeichnen, an der Außenfassade hängen Fahnen, die das 50jährige Jubiläum des Lokals anzeigen. Respekt.

Schon beim Betreten kommt ein bisschen Retro – Feeling auf. Hier wird keinem hippen Trend gefolgt, hier sieht’s (mit Ausnahme von möglicherweise dem ein oder anderem Facelift) genauso aus wie vor 30 Jahren. Gemütlich, klassisch und serbisch. Nicht überladen, kein Touristenkitsch, aber doch eindeutig dem Land zuordenbar. Bei meinem letzten Besuch gab es ja noch Jugoslawien, tempora mutantur.

Unsere Reservierung war per Email bestätigt worden und wir wurden zu unserem Tisch im Innenhofgarten gebracht. Nett ist es dort, ein schöner, ruhiger Innenhof, der Garten gemütlich bestuhlt und für die Non-Zeit, die wir uns ausgesucht hatten (Sonntag, 17:00) ganz gut besucht. Parkplatztechnisch war die Wahl klug, unter der Woche ist die Gegend ob ihrer Nähe zum Naschmarkt sicherlich hoffnungslos zugeparkt.

Unser Kellner war von Anfang bis Ende des Abends ausgesprochen freundlich, der ganze Abend war von einer herzlichen, nicht steifen Atmosphäre getragen. Wir eröffneten mit einem jungen, trockenen Weißwein (aus Kroatien?), Winzer und Sorte weiß ich leider nicht mehr. War aber ein süffiges, leichtes Tröpfchen, herrlich passend für den lauen Spätsommerabend im Garten des Beograd. Wir studierten die recht große Karte, die auch auf der HP als pdf download abrufbar ist und bestellten:

Serbische Bohnensuppe für die Liebste („extra scharf“ als Sonderwunsch) und mich, Shopska Salata für alle anderen an unserem Tisch. Über den Ursprung des Shopska Salata wird im Südosten Europas ja gerne gestritten. BulgarInnen beanspruchen diesen Salat als Nationalgericht für sich, Serbien reklamiert den Ursprung ebenfalls für sich. Unser Kellner, ganz Diplomat, ließ uns wissen, es wäre halb-halb, also quasi eine gemeinschaftliche Errungenschaft, mit dieser Antwort konnten sowohl die Liebste (gebürtige Sofioterin), als auch unsere Freunde (Serbinnen) gut leben. Tomaten, Gurken, Paprika und darüber geriebener Schafkäse, that’s it. Simpel, aber sensationell gut. Ich kenne und liebe Shopska Salat, allerdings natürlich ohne Tomaten, die ich roh partout nicht essen will. Shopska ohne Tomaten zu bestellen kommt in Bulgarien einer Gotteslästerung oder Majestätsbeleidigung gleich, ein Wunder, dass ich noch nie des Landes verwiesen wurde.

Auftritt der serbischen Bohnensuppe. Auch hier herrscht Klassik vor: kein chi-chi, keine Designer-Suppentassen oder moderne Einmachgläser, nein, hier kommt noch ein klassischer, weißer, tiefer Teller mit reichlich Suppe zum Einsatz. Die Suppe der Liebsten zwei Rotschattierungen intensiver, - dem Sonderwunsch „extra scharf“ wurde entsprochen.

Die Suppe war ein Gedicht. Leicht pikant, guter Geschmack, eine wirklich hausgemachte, echte Suppe. Herrlich. Der Liebsten Suppe war ebenso gut, wobei: bestellt man „scharf“, werden im Beograd keine Gefangenen gemacht. Die Schärfe war selbst für chilliphile Menschen wie die Liebste und mich hart an der Grenze. Die Suppe gibt’s für wohlfeile € 4,50 oder € 5,20 (mit oder ohne Ripperln in der Suppe).

Die Hauptspeisen:

Unsere Freunde bestellten alle das Gleiche: Schnitzel „Karadjordje“ (€ 12,50), den „mmmhs“ und „aaahhhs“ nach zu urteilen, als sie dieses Schnitzel auf der Karte entdeckten, dürfte dies ein sehr beliebtes Gericht in Serbien sein.

Die Liebste entschied sich für Pljeskavica, gefüllt mit Schinken und Käse mit Letschoreis (€ 9,80), ich wollte etwas Gemischtes vom Grill, unser Kellner meinte, er würde mir anlässlich meiner Wiederkehr nach 30 Jahren etwas Spezielles machen lassen. Als Begleitung ließen wir ihn einen guten, kräftigen Rotwein für uns auswählen, es kam ein sehr guter Vranac, ein wahrlich tadelloses Tröpferl.

Nun denn: die Karadjordje Schnitzel kamen als gerollte, panierte Schweinsschnitzel daher, ähnlich einem Cordon Bleu, nur eben als panierte Rolle und ohne Schinken. Hmm. Das Schnitzel eine eher trockene Angelegenheit, die nur durch den Käse (Schafkäse, tippe ich) saftig war. Meins war’s nicht, ich fand’s zu trocken. Die Idee, das Schnitzel zu rollen, ist nicht unoriginell, ich fände halt ein zartes, saftiges Kalbfleisch und einen guten Schinken drinnen besser. Aber vielleicht wurde ich in meiner Jugend zu sehr mit Cordon Bleus sozialisiert.

Der Liebsten Pljeskavica war die Mutter aller Pljeskavicas.

Wir beide haben dieses Gericht schon ein paar Mal gegessen, immer etwa in der Größe eines faschierten Laberls. Was hier kam, war gut und gern dreimal so groß, ein Riesenteil. Das faschierte Rindfleisch gut, wenn auch sehr, sehr, sehr kompakt. Dafür innen exzellenter, leicht geräucherter Schinken und ebenso guter Käse. Von der Portionsgröße nicht zu schaffen, speziell, wenn man vorher einen großen Teller Bohnensuppe verspeist hat.

Ich konnte gerade noch ein „no, viel Spaß damit“ zur Liebsten raunen, da kam auch schon meine Hauptspeise. The mother of all mixted grills. Gut gemeint, aber ein echter Wahnsinn. Ein veritabler Fleischberg, 2 Putensteaks, ein Grillspieß vom Rind, ein gegrillter Schweinsschopf und, quasi als Deko, eine mittelgroße Pljeskavica, diesmal in der puristischen, ungefüllten Variante. Damit’s ausgibt, das Ganze auf einem Bett von Letschoreis und einer nicht gerade kleinen Portion Pommes.

Das Fleisch war sehr gut, zart, saftig, der Schopf wunderbar knusprig gegrillt, ohne trocken zu sein, selbst der Spieß, etwas, das ich so gut wie nie bestelle, weil oft furztrocken, war hier zart und saftig. Der Letschoreis war gut, von der Konsistenz sehr, fast schon zu weich, einem Risotto nicht unähnlich. Pommes sind meine Sache nicht wirklich, sie waren aber recht gut. Diese Portion hätte locker den ganzen Tisch satt gemacht, die Riesen-Pljeskavica wahrscheinlich den halben Garten. Unglaublich.

À propos unglaublich: unsere Freunde hatten tatsächlich noch Platz und Lust auf Desserts, also wurden Schoko-Nuss Palatschinken (€ 4,50) und Baklava (€ 4,30) bestellt. Ich nahm meine zwei obligatorischen Caffè espressi, die in Konsistenz und Geschmack gut waren. Nicht top, aber gut.

Zum Abschluss gab’s noch je ein Glas Pelinkovac für jeden der erwachsenen Gäste, Serbiens Antwort auf Fernet oder Averna. Ein ziemlich intensiver Kräuterlikör, der nach den großen Portionen sehr willkommen war, wenn auch vom Geschmack etwas gewöhnungsbedürftig.

Mein Fazit: es war ein sehr angenehmer Abend mit wirklich nettem Service in einem herrlich ruhigen Innenhofgarten. Der Service war sehr charmant und bemüht, bei kleinen Schwächen sollte man ein Auge zudrücken. Nicht jeder Aschenbecher wird sofort geleert, und manchmal dauert es auch ein bißchen länger, bis bestellte Getränke kommen. Aber nein, es war in Summe sehr gemütlich, sehr entspannt, wirklich nett.

Die Suppe war für uns das absolute Highlight, bei den anderen Speisen bin ich ein wenig gespalten. Natürlich respektiere ich, dass im Beograd wahrscheinlich immer schon diese Portionsgrößen serviert wurden und dies wahrscheinlich auch der Landestradition geschuldet ist. Zu Recht ist man auf die Riesen – Pljeskavica stolz, das Ding ist wirklich einzigartig.

Und doch, bei allem Festhalten an Traditionen, was zweifelsfrei auch gute Seiten hat, schließlich muss man ja nicht jedem Trend hinterherrennen, wurde mein, natürlich ganz subjektiver, Geschmack nicht voll getroffen. Für mich wäre weniger mehr gewesen, Portionsgrößen, die beileibe nicht lächerlich klein sein müssen, aber doch so dimensioniert sein sollten, dass man auch eine Vorspeise oder Suppe und möglicherweise ein Dessert essen kann, ohne das Gefühl zu haben, platzen zu müssen.

Für mich hat ein überladener Teller nichts Positives an sich, und auch die Pljeskavica sollte sich eher durch flaumige Konsistenz als durch schiere Größe auszeichnen. Auch die Schnitzel, - wären sie kleiner, dafür aber zarter und saftiger, könnte man meiner Meinung nach mehr Punkte einheimsen, als mit der Standard – Schweinsvariante, wie sie im Beograd serviert wird.

Und trotzdem, es war ein sehr, sehr netter Abend in gemütlichem Ambiente.

Zwei Dinge seien zum Abschluss noch gesagt: ja, die Qualität ist nach so vielen Jahren immer noch gut, und ja, man kann auf alle Fälle öfter als einmal alle 30 Jahre ins Beograd gehen. Hvala!
Schnitzel "Karadjordje" - Beograd - WienGrillteller - Extravaganza - Beograd - WienHausgemachtes Brot - exzellent - Beograd - Wien
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9 Kommentare

@adn1966, wg. "Tastes like chicken": So ähnlich wie das Huhn mit 1000 Aromen schmeckt in der Sichuan - Küche leicht etwas. :-)

13. Sep 2016, 05:31·Gefällt mir1

Unbekannte Rohstoffe zumindest zu kosten rentiert sich! Ich mag keine Leber im Stück (also geröstet, gebacken...), aber das beruht auf hinreichend ;-) oftmaliger Verkostung (meist wenn sich ein Stück Leber in eine Portion Nierndl verirrte).

6. Sep 2016, 09:12·Gefällt mir

Dachte ich mir nach Lektüre der anderen Bewertungen, dass der 50er schon länger her ist. Ich war nur zu faul, das genaue Gründungsjahr zu recherchieren. :-o

5. Sep 2016, 18:57·Gefällt mir1

Die Fahnen "50 Jahre Beograd" hängen übrigens bereits seit 2010 oder 2011. Änderung vermutlich erst dann, wenn das Lokal den 60er feiert. *g*

5. Sep 2016, 18:54·Gefällt mir

Ich konnte mich in 50 Jahren noch nie dazu bringen, Nieren zu kosten. Oder Kutteln (das zweite, bulgarische Nationalgericht). Aber wer weiß, vielleicht traue ich mich noch irgendwann, meine intuitive Aversion zu überwinden. Vor kurzem wurde mir in Shenzhen/China Schweinsdarm serviert. Ich verkniff mir die sich mir aufdrängende "over-my-dead-body" - Reaktion, um den Gastgeber nicht zu beleidigen. Gar nicht so schlecht. Tastes like chicken.

5. Sep 2016, 18:46·Gefällt mir

Bei Salbeiaversion kann man halt nichts machen. Ich habe auch Empfindlichkeiten, die meinen Horizont einschränken (Nieren!).

5. Sep 2016, 18:36·Gefällt mir1

Stimmt, Saltimbocca ist gerollt, aber nicht paniert. Außerdem stört mich beim Saltimbocca das obligatorische Salbeiblatt. Für mich der böse Bruder von Lorbeer.

5. Sep 2016, 18:30·Gefällt mir1

Hattest Du nicht? OK, dann ändere ich es halt auf "ihrer Hits". And by all means, don't resist, thanks for the hint, cmling.

5. Sep 2016, 18:25·Gefällt mir1

Es war eine Freude, diese Beschreibung zu lesen! Bei mir werden's auch etwa 30 Jahre seit dem letzten Mal sein, auch ich werde das ändern. Zwei Bemerkungen: "... den Cher 1989 als Titel für einen Ihrer Hits gewählt hat ..." Ich hatte noch nie einen Hit und außerdem sind wir doch per Du? (Sorry, couldn't resist.) "Die Idee, das Schnitzel zu rollen, ist nicht unoriginell, ich fände halt ein zartes, saftiges Kalbfleisch und einen guten Schinken drinnen besser." Ich glaube, diese Idee wurde schon mit Saltimbocca (leicht zu kochen, erfreulich zu essen!) verwirklicht.

5. Sep 2016, 18:22·Gefällt mir1
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