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Do, 25. April 2024

Il Sestante, Wien - Bewertung

amarone1977
Experte
am 4. Oktober 2013|Update 1. Dez 2013
SpeisenAmbienteService
Il Santo Graal. amarones Suche nach dem Heiligen Gral. Nach der wahren Carbonara, nach der besten Pizza Margherita.

Kapitel 458: vorweg – ich wurde hier nicht fündig – oder einfach nur „noch“ nicht?

Warum: Il Sestante bewirbt sein Lokal mit „Italia a tavola“ – Italien bei Tisch. Das ist eine Aussage, eine Grundhaltung, auf die man stolz ist. Man bezeichnet sich als einer der beliebtesten Italiener Wiens, das sicher gut möglich ist.

Das Lokal ist groß, schlicht mit hohen Räumen und weit herunterhängenden, einfachen Lampen, laut unserem geschätzten User derweinrat mit drei Gastgärten ausgestattet, die ich bei reschen, windigen 7 Grad im abendlichen Grätzel natürlich nicht bemerke.

Nach halb zehn lichten sich die Tischreihen merklich. Ich werde italienisch begrüßt und erwidere den Gruß passend. Die Ragazzi sind passend gekleidet, lassen die locker-legere Lässigkeit raushängen, die ich von „meinen Stronzetti“ ja gewohnt bin.
Ich mag sie ja, außerdem haben sie alle schon Jahre in einschlägigen Lokalen hinter sich gebracht, einen erkenne ich sofort wieder, hatte er doch eindeutig Jahre im Klagenfurter Lido und in den Wiener Schwesterlokalen „Terroni“ und „Ragazzi“ verbracht.
Ich kenn‘ sie ja, meine italienischen Pappenheimer.

Ein Trumer „Herbstbier“ wird gebracht. Ein sehr erfreuliches Getränk, nicht das erste gute Bier aus Obertrum.

Pizza Margherita. Laut Eigendefinition ist das Lokal „berühmt für seine Pizza“.
Nun gut – wirklich schlecht ist sie ja nicht. Von der Machart her geht sie in die Spielart, die man im „Il Mare“ gewohnt ist, zu machen. Der Belag wirkt ein wenig wie ein einheitliches „Gemisch“ aus Tomate und Mozzarella, also keine wirklich roten und keine wirklich weißen Flecken.
Das Ganze ist recht weich und cremig, aber nicht flüssig. Allerdings auch ordentlich salzig, geht aber gerade noch. Der fehlende Basilikumhauch, der bei mir oft akutes Fernweh auslösen kann, ist auch noch nicht so schlimm.
Was aber gar nicht geht ist der fast schon ledrig zähe Rand, den ich komplett stehen lassen muss.
Beim Abservieren fragt man nicht danach…

Spaghetti Carbonara. Ich will sie wie immer ohne die in Italien absolut verpönte Zugabe von Schlagobers. Das sage ich mit erhobenem Zeigefinger dazu.
Klar wäre das einfacher, Schlagobers ist nicht nur ein Geschmacksverstärker, sondern ein praktischer „Emulgator“, das kennen wir ja auch vom Tiramisu – wem das Eischneeschlagen zu blöd ist, schwindelt eben ein wenig mit Schlagobers.
La ricetta originale verbietet aber Schlagobers in der Carbonara.

Na, wie war’s? Gemischte Gefühle: einerseits war es dem Cuoco gelungen, das Vermengen von Pasta und Ei so vorzunehmen, dass das Ei nicht mit seinen typischen Krümeln stockte. Das war alles schön cremig. Aber wo ist der Parmigiano?
Ich bekomme ihn extra im typischen Parmesanschüsserl, doch eigentlich sollte er schon drin sein, ideal ist das nicht. Das ist so wie mit dem Nachsalzen. Bei manchen Speisen funktioniert das nur bedingt. Schnell also den Käse drübergestreut und vermischt.
Der sympathische Ragazzo meint, das würde sonst zu „hart“ werden. Glaube ich nicht, zu hart war hier nur der Teig der Pizza.

Apropos Bauchspeck: das ist der eigentliche Stein meines Anstoßes: ich fotografiere ja sonst nie Details wie den Anschnitt eines Rindsfilets, sieht es doch am Foto meist nicht sonderlich appetitanregend aus.
Doch das musste ich dokumentieren, sonst glaubt es mir wohl niemand: die Pancetta-Stücke (ist es Pancetta?) sind genauso breit wie meine Gabel. Warum?

Ich mache einen Vergleich: jedes italienische Restaurant ist stolz auf seine Berkel, die Maschine, die den Prosciutto so fein hinbekommt, das man fast durchsieht.
Das macht man nicht ohne Grund – wer seinen Schinken schon mal zu dick geschnitten hat, weiß genau, warum das nicht schmeckt.

Das gleiche gilt für Pancetta – die Bauchspeckwürfel: die müssen klein sein, denn nur dann „schmelzen“ sie fast ganz in der Pfanne. Und nur dann „kleben“ sie mit der Ei-Parmesan-Mischung an der Pasta dran.
So hab ich’s in Italien gelernt.
Aber diese lieblosen 2x1cm-Riesentrümmer hier sind schlichtweg ungenießbar, weil natürlich auch ordentlich salzig, wir reden ja hier nicht von Rinderfilets, sondern von Speck.
Meine Worte in Richtung Kellner: „questi sono animali interi!!“

Immerhin – die Spaghetti mit Ei und nachträglich hinzugefügtem Parmigiano - ohne die großen Fleischstücke - lässt sich soweit ganz gut essen. Aber die „animali interi“ bleiben stehen. Die kann man klein schneiden – ja wenn man nur will.

Mit dem Kellner wird danach noch einige Zeit über die „vera Carbonara“ und „animali interi“ diskutiert und gescherzt.
Sehr guter Caffè kommt zum Tisch, der Grappa geht auf’s Haus. Grazie!

Fazit: über das Service möchte ich hier nicht jammern. Die Ragazzi sind gut drauf, nicht steif, vertragen Kritik und haben Humor – und können mit vollem Haus umgehen, erfahrene Kellner sind sie ja.
Über die Preise diskutiere ich auch nicht, ich bin mehr als satt und habe gerade mal 20 Euro hiergelassen.
Das Ambiente ist nicht unangenehm, alles einfach und schlicht, zweckmäßig, bei gutem Besuch wohl auch mit ordentlichem Schallpegel.

Ich werde wohl auch wiederkommen, um wieder mal eine Carbonara zu probieren. Aber diesmal fallen meine Noten weniger gut aus.
Denn man kann meine geliebte Pasta sehr wohl so hinkriegen, wie sie in bella Italia gepredigt und in meinem 5000-Rezepte-Standardwerk beschrieben wird – und wie ich sie auch normalerweise hinbekomme.
Mamma mia!
Il Sestante - WienPizza Margherita - Il Sestante - WienSpaghetti Carbonara - Il Sestante - Wien
Hilfreich17Gefällt mir13Kommentieren
2 Kommentare

aldebaran: du linguistischer Fuchs, die Zweideutigkeit war mir gar nicht aufgefallen ;) PS: wem italienische Küche fasziniert, der braucht natürlich auch ein dickes, fettes Standardwerk zuhause :)

5. Okt 2013, 14:58·Gefällt mir1

Schöner Bericht :-) und vorallem das mit der Carbonara stimmt, ich habe meine lieblings Carbonara in Wien schon gefunden :-)

4. Okt 2013, 21:06·Gefällt mir1
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