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Do, 28. März 2024

Fuhrmann - Bewertung

adn1966
Experte
am 23. Juni 2016
SpeisenAmbienteService
Wie hieß es vor ewigen Zeiten in der „Rennbahn-Express“ – Werbung? „Summa is’, haaß is’ ...“ oder so ähnlich. Egal. Genau so fühlte es sich heute Mittag an. „Hot town, summer in the city“, wie es schon "The Loving Spoonful" in meinem Geburtsjahr richtig zusammengefasst hatten. Der richtige Tag, um ein ausgedehntes Mittagessen in einem der schönsten Innenhofgärten Wiens zu verbringen, mitten im Achten, im Fuhrmann, dem Nachfolger des Hohensinn.

Ja, der Hohensinn hat seine Pforten leider geschlossen. Viele nette Tage und Abende haben die Liebste und ich dort verbracht, und nebst Hohensinns Küche hatte es uns speziell dieser, für den Achten typische, Wiener Innenhof angetan. Ist nun aber Geschichte, let’s turn the page.

Nun hat der Gault Millau Sommelier 2016, Hermann Botolen mit seinem Küchenchef Sascha Hoffmann, der im Plachutta, Tian, Fabio’s und Floh den Kochlöffel geschwungen hat, die Nachfolge in den Räumlichkeiten des Hohensinn angetreten. Die Homepage ist sympathisch, elegant und übersichtlich. Das Konzept verspricht hohe Weinkompetenz, es gibt Weinverkostungen und eine umfangreiche, gut sortierte Weinkarte, aber das setzt man bei einem prämierten Sommelier natürlich voraus. Darüber hinaus bespielt Herr Botolen das Lokal mit einem Konzept aus regionaler, aber auch internationaler Küche auf recht hohem Niveau. Auf der Karte finden sich raffiniert interpretierte österreichische Klassiker (Rindsroulade mit Navetten, - kannte ich auch nicht, sind lt. Wikipedia Mairüben), aber auch Lammrücken, pochierter Spargel mit Lardo vom Mangalitza – Schwein, und gebraterner Wolfsbarsch.

Die Erwartungshaltung ist hoch und wir freuen uns, das Fuhrmann kennen zu lernen. Und wir präjudizieren nicht. Es wird keine Vergleiche mit dem Hohensinn geben, das wäre nicht fair. Neues Lokal, neue Chance.

Wir werden sehr freundlich begrüßt und zu unserem reservierten 6-er Tisch im Garten geführt. Als Aperitif nimmt die Liebste ein Glas Cremant Rosé aus Frankreich (€ 7,50), ich bestellte, frei nach Häupl, einen Spritzwein (€ 2,90).

Kurz darauf kamen auch unsere Freunde, wir können also bestellen. Die Liebste und ich wählten die Rindsuppe mit Leberknödel (€ 4,70), unsere Freunde entschieden sich vorab für das Fischtartar (€ 13,90), den Blattsalat mit Eierschwammerln (€ 12,00), sowie für Süßkartoffel mit geschmortem Knollensellerie, Kräuterseitlingen und Walnüssen (€ 9,80).

Als Hauptspeise wurden von den drei Männern die oben erwähnten Rindsrouladen (€ 19,60) bestellt, die Damen entschieden sich für gebratenen Wildfangsaibling mit Radieschen und jungem Lauch (€ 24,60), das Kalbskotelett, gebraten mit Kohlrabi, Erbsenschoten und Schupfnudeln (€ 24,00), sowie für die hausgemachten Brennesslnudeln mit Kapern und Burrata aus Apulien (€14,00).

Zuerst wurde uns das Gedeck (€ 2,90) gereicht, ein Korb mit verschiedenen Brotsorten, dazu Grammelschmalz und ein an Liptauer gemahnender Paprikaaufstrich. Das Brot war hervorragend, die Aufstriche ebenfalls sehr gut. Allein das Schmalz war für mich einen Tick zu fest und cremig, kein klassisches Grammelschmalz. Und doch, ein guter Start.

Es kamen die Vorspeisen. Die Suppe kräftig mit nicht zu wenig Gemüse und einem gut portionierten, offenbar hausgemachten Leberknödel. Die „al dente“ Fraktion hätte am Gemüse in der Suppe keine Freude gehabt, es war sehr weich. Ich persönlich mag das, vielleicht, weil ich es aus meiner Kindheit so kenne. Der Leberknödel war gut, wenn auch kein Highlight. Es fehlte die Würze, der Kick, das Spezielle. Auch die Suppe selbst, - brav, aber kein Aha-Erlebnis.

Die Salate sahen wiederum sehr gut aus, auch das Fischtartar war laut unserer Freundin B. exzellent. Die Süßkartoffelvorspeise schien M. zu munden, ich persönlich mag keine Süßkartoffeln, finde die Idee aber sehr interessant. Sieht man selten in Wien.

Auftritt der Hauptspeisen:

Die Rindsroulade: tadellose Fleischqualität, tadelloses Handwerk. Sehr gut im Geschmack wurde die Roulade in Begleitung eines Petersilie – Kartoffelpürees serviert. Gute Idee, quasi Petersilienkartoffel in Püreeform. Geschmacklich sehr gut und auch von der Konsistenz sehr nahe am perfekten Püree. Die ganze Sache war mir persönlich allerdings etwas zu trocken, bei einer Rindsroulade erwarte ich mir schon etwas mehr Saft, wie es sich für ein gutes Schmorgericht gehört. Insofern sehr schade, als man geschmacklich, aber auch in punkto Zartheit des Fleisches wirklich nichts an diesem Gericht aussetzen kann.

Der Wildfangsaibling war laut S. sehr gut, das wirklich stattliche Kalbskotelett bekam von B. höchste Noten. Die Liebste hatte sich für ein Zwischengericht als Hauptgang entschieden, die hausgemachten Brennesslnudeln mit Burrata. Klang sehr, sehr spannend, konnte die Erwartungshaltung allerdings nicht erfüllen. Es fehlte die Würzigkeit, die man bei diesem Gericht erwartet. Nichts Besonderes bei den Nudeln, eine ganz gute Burrata, insgesamt leider durchgefallen, die Hälfte der Portion ging zurück. Schade.

Nun gut, schauen wir uns die Desserts an. Wir bestellten alle drei Desserts auf der Karte, die Topfen-Nockerl mit Butterbröseln und eingekochten Zwetschgen (€8,00), die eingelegte Birne mit Frischkäsecreme, Blätterteig und Buttermilchreis (€ 8,90), sowie die Mascarponerolle mit Haselnuss, Kaffeeis und Pericon (€ 9,40).

Es kamen drei optisch wirklich sehr ansprechende Desserts. Aber: Die Topfennockerl waren in Begleitung eines wirklich sehr, sehr süßen Eises, die Zwetschge sehr gut, die Nockerl OK. Die Mascarponerolle war, wenn auch geschmacklich gut, eine recht trockene Affaire. Die Birne war fantastisch, die Frischkäsecrème gut, wenn auch sehr süß.

Den Abschluss bildeten zwei Runden Espresso, hier gibt’s nichts zu bemängeln. Na ja, fast nichts. In einem Restaurant wie dem Fuhrmann erwarte ich eigentlich schon, dass Zucker zum Kaffee automatisch gereicht wird, war halt ein kleiner Lapsus. Nicht der Rede wert.

Ich hab’s schon erwähnt, eine der Kernkompetenzen im Fuhrmann ist Wein.

Die Weinkarte ist wahrlich beeindruckend, gefühlte 1000 gut sortierte Tropfen aus Frankreich, Deutschland und natürlich Österreich. Wir tranken einen tadellosen, unglaublich geschmackvollen gemischten Satz aus 2014 (sorry, den Winzer hab ich leider nicht mitgekriegt) für wahrlich wohlfeile € 38,00. Nachdem es die erste Wahl unseres Weinexperten W. nicht gab, wurde uns eine Flasche Sauvignon Blanc aufs Haus kredenzt. Eine sehr nette und beileibe nicht selbstverständliche Geste.

Mein Fazit:

der Service ist wirklich sehr freundlich und charmant, wir wurden auch immer wieder vom Herrn des Hauses beraten und bedient. 5 von 5 Punkten.

Die Küche ist ambitioniert, weckt aber Erwartungshaltungen, die heute nur teilweise erfüllt wurden. Herr Hoffmann beherrscht zweifelsfrei sein Handwerk, auch wird auf Herkunft und Qualität der Produkte großer Wert gelegt, so soll’s sein. Die Balance zwischen traditionellen Gerichten und kreativer Interpretation ist intakt, es wird nicht überinterpretiert, wie es manche junge Köche immer wieder tun. (Wer braucht schon z.B. Beuschl auf geeistem Artischockenschaum?) Eben. Nein, die Balance zwischen Tradition und Moderne ist im Fuhrmann schwer in Ordnung, die Gerichte sind bodenständig genug, aber alle doch mit etwas Finesse interpretiert.

Was mir heute gefehlt hat, war dieses „Aha – Erlebnis“, das ich mir nach der Lektüre der Karte erhofft hatte. True, alles war handwerklich gut umgesetzt, es wurden auch Produkte sehr hoher Qualität verarbeitet, der letzte Schliff fehlte jedoch.

Alles war „eh brav“, und genau das ist in einem Lokal wie dem Fuhrmann leider zu wenig. Ich will dort rausgehen und die beste Rindsroulade gegessen haben, ich will den besten Wolfsbarsch nur im Fuhrmann finden. Ich will die Signatur, das Einzigartige des Küchenchefs spüren und schmecken. Auch die Desserts, wenn auch optisch perfekt umgesetzt, vermochten nicht, uns dieses Einzigartige, dieses "Wow-Gefühl" zu vermitteln.

Zweifelsfrei sollte man, um eine gerechte Bewertung abgeben zu können, das Fuhrmann auch am Abend besuchen, und das werden wir bald tun. Die Abendkarte ist deutlich reicher und vielleicht haben die Liebste oder ich mit unserer Auswahl heute einfach nur nicht das für uns Richtige erwischt.

Ambiente: Top, ein wunderschöner Innenhofgarten.
Service, wie gesagt, top. Man fühlt sich sehr wohl und wird als Gast freundlich, aber nicht aufdringlich hofiert.

Preis – Leistung: 120 € inkl. Trinkgeld pro Paar, das ist für die gebotene Qualität in Ordnung. Diners und Amex werden leider nicht genommen, auch das sollte nicht sein. Ich verstehe schon, diese beiden Karten sind für den Wirten deutlich teurer als VISA/Master, in einem Haus dieser Qualität erwarte ich mir trotzdem, dass „the choice of cards“ bei mir bleibt.

À bientot, bis bald, wir werden dieses charmante Lokal in naher Zukunft einmal am Abend besuchen.

Fiel mir nicht leicht, aber ich hab’s versprochen und gehalten: es gab keinen Vergleich mit dem Hohensinn. ;-)
Die Süßkartoffeln - Fuhrmann - WienDer Brotkorb als Gedeck - Fuhrmann - WienDer Blattsalat - Fuhrmann - Wien
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2 Kommentare

Danke, 331er, aber ja, Ristretto mit einem Löffel Zucker, that's the poison of choice. Stark, kurz, schwarz, aber süß. Ein Grappa dazu passt natürlich perfekt, aber das ist eine andere Geschichte.

23. Jun 2016, 23:09·Gefällt mir

HGL vom 331er, nur Zucker in den Espresso? :-)

23. Jun 2016, 23:04·Gefällt mir
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